Saphirblau
die wird wahrscheinlich eh absagen, weil ihre Eltern keine gemischten Partys erlauben ... Oh mein Gott, was ist denn
das da?
Kann mich mal einer kneifen?«
»Das da« war ein hochgewachsener Junge mit blonden kurz geschnittenen Haaren. Er stand vor dem Büro unseres Direktors, zusammen mit Mr Whitman. Und er kam mir seltsam bekannt vor.
»Autsch«, kreischte Cynthia auf, denn Leslie hatte sie wunschgemäß gekniffen.
Mr Whitman und der Junge drehten sich zu uns um. Als mich der Blick aus grünen Augen unter dichten dunklen Wimpern streifte, wusste ich sofort, wer der Fremde war. Himmel! Jetzt sollte Leslie vielleicht auch mich kneifen.
»Das passt ja gut«, sagte Mr Whitman. »Raphael, das sind drei Schülerinnen aus deiner Klasse. Cynthia Dale, Leslie Hay und Gwendolyn Shepherd. Sagt Hallo zu Raphael Bertelin, Mädchen, er wird ab Montag in eure Klasse gehen.«
»Hallo«, murmelten Leslie und ich und Cynthia sagte: »Echt jetzt?«
Raphael grinste uns an, die Hände lässig in seinen Hosentaschen versteckt. Er sah Gideon wirklich ziemlich ähnlich, auch wenn er ein bisschen jünger war. Seine Lippen waren voller und seine Haut hatte einen bronzefarbenen Ton, so als käme er gerade von einem vierwöchigen Karibikurlaub. Wahrscheinlich sahen die glücklichen Menschen da unten in Südfrankreich alle so aus.
»Warum wechselst du mitten im Schuljahr die Schule?«, fragte Leslie. »Hast du was ausgefressen?«
Raphaels Grinsen wurde breiter. »Kommt darauf an, was du darunter verstehst«, sagte er. »Eigentlich bin ich hier, weil ich von Schule die Nase voll hatte. Aber aus irgendwelchen Gründen . . .«
»Raphael ist aus Frankreich hierhergezogen«, fiel ihm Mr Whitman ins Wort. »Komm jetzt, Raphael, Direktor Gilles wartet.«
»Bis Montag dann«, sagte Raphael und ich hatte das Gefühl, dass er es ausschließlich zu Leslie sagte.
Cynthia wartete, bis Mr Whitman und Raphael in Direktor Gilles' Büro verschwunden waren, dann streckte sie beide Hände zur Decke und rief: »Danke!! Danke, lieber Gott, dass du meine Gebete erhört hast.«
Leslie stieß mir den Ellenbogen in die Rippen. »Du siehst aus, als wäre dir gerade ein Bus über den Fuß gefahren.«
»Warte, bis ich dir erzähle, wer das ist«, flüsterte ich. »Dann siehst du auch so aus.«
Jede Zeit ist eine Sphinx, die sich in den Abgrund stürzt, sobald man ihr Rätsel gelöst hat.
(Heinrich Heine)
7
Durch die Begegnung mit Gideons kleinem Bruder und dem anschließenden hastigen Gespräch mit Leslie (sie fragte zehnmal »Bist du sicher?«, ich sagte zehnmal »Absolut sicher!«, dann sagten wir beide noch an die hundertmal »Wahnsinn« und »Ich fasse es nicht« und »Hast du seine Augen gesehen?«) kam ich etliche Minuten nach Charlotte zu der wartenden Limousine. Wieder war Mr Marley geschickt worden, um uns abzuholen, und er schien nervöser denn je. Xemerius hockte auf dem Autodach und fegte seinen Schwanz hin und her. Charlotte saß bereits im Fond und sah mich gereizt an. »Wo zur Hölle warst du denn so lange? Einen Giordano lässt man nicht warten. Ich glaube, dir ist überhaupt nicht klar, was für eine große Ehre es für dich ist, dass er dich unterrichtet.«
Mr Marley komplimentierte mich mit betretenem Gesichtsausdruck in den Wagen und schloss die Tür.
»Ist irgendwas?« Ich hatte das ungute Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben. Charlottes Miene bestärkte mich nur darin.
Als der Wagen sich in Bewegung setzte, ließ Xemerius sich durch das Dach ins Wageninnere gleiten und auf den Sitz mir gegenüber plumpsen. Mr Marley hatte wie beim letzten Mal vorne neben dem Fahrer Platz genommen.
»Es wäre schön, wenn du dir heute mehr Mühe geben könntest«, sagte Charlotte. »Für mich ist das alles entsetzlich peinlich. Du bist schließlich meine Cousine.«
Ich musste laut auflachen. »Ach, komm schon Charlotte! Bei mir musst du doch nicht so heucheln. Es ist das reinste Vergnügen für dich, dass ich mich so dumm anstelle!«
»Das ist nicht wahr!« Charlotte schüttelte den Kopf. »Das ist wieder typisch für dich, dass du so was denkst, in deiner kindischen Selbstbezogenheit. Alle wollen dir nur helfen, damit du ... nicht alles kaputt machst mit deiner Unfähigkeit. Obwohl - vielleicht wirst du ja jetzt keine Gelegenheit mehr dazu haben. Ich könnte mir vorstellen, dass sie alles abblasen . . .«
»Weswegen das denn?«
Charlotte sah mich eine Weile schweigend an, dann sagte sie in beinahe schadenfrohem Tonfall: »Das
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