Sara Linton 01 - Tote Augen
– sie berührte ihren Bauch – » das war relativ frisch, heute am Morgen oder gestern spät, und es wurde mit Präzision gemacht.«
» Chirurgischer Präzision?«
» Nein.« Sie schüttelte den Kopf. » Mit Selbstbewusstsein. Es gab keine Spuren des Zögerns, keine Testschnitte. Die Person wusste ziemlich genau, was sie da tat.«
Faith fand, dass auch die Ärztin ziemlich selbstbewusst war. » Was glauben Sie, wie es gemacht wurde?«
Sara holte ihren Rezeptblock heraus und zeichnete einige geschwungene Linien, die erst einen Sinn ergaben, als sie erklärte: » Die Rippen sind paarweise von oben nach unten nummeriert, zwölf auf jeder Seite, rechts und links.« Sie klopfte mit ihrem Stift auf die Linien. » Nummer eins sitzt direkt unter dem Schlüsselbein, und zwölf ist die Letzte hier.« Sie schaute hoch, um sich zu versichern, dass Faith ihr folgen konnte. » Nun, elf und zwölf hier werden als › schwimmende ‹ Rippen bezeichnet, weil sie keine anteriore Verbindung haben. Sie sind nur hinten verbunden, nicht vorn.« Sie zog eine gerade Linie, um das Rückgrat anzudeuten. » Die oberen sieben Rippen sind hinten mit der Wirbelsäule und vorn mit dem Brustbein verbunden – wie eine große Sichel. Die nächsten drei Reihen sind nur mit den Rippen darüber verbunden. Man nennt sie falsche Rippen. Das alles ist sehr elastisch, damit man atmen kann, und das ist auch der Grund, warum es so schwierig ist, mit einem direkten Schlag eine Rippe zu brechen – sie geben ziemlich nach.«
Faith beugte sich vor, sie hing ihr förmlich an den Lippen. » Das wurde also von jemandem mit medizinischem Wissen gemacht?«
» Nicht unbedingt. Man kann die eigenen Rippen mit den Fingern abtasten und weiß dann, wo sie im Körper sind.«
» Aber trotzdem …«
» Sehen Sie.« Sie setzte sich aufrecht hin, hob den rechten Arm und drückte sich die Finger der linken Hand in die Flanke. » Sie fahren mit der Hand an der hinteren Axillarlinie entlang, bis Sie die Spitze der Rippe spüren – die elfte, mit der zwölften ein Stückchen weiter hinten.« Sie nahm das Plastikmesser zur Hand. » Man sticht das Messer in die Haut und schneidet an der Rippe entlang – die Spitze der Klinge könnte zur Führung sogar über den Knochen schaben. Dann schiebt man Fett und Muskelgewebe zurück, löst die Rippe vom Wirbel, reißt sie ab oder sonst wie, und dann nimmt man sie fest in die Hand und zieht sie heraus.«
Faith bekam bei dem Gedanken ein flaues Gefühl im Magen.
Sara legte das Messer weg. » Ein Jäger würde das in weniger als einer Minute schaffen, aber im Prinzip kann jeder herausfinden, wie das geht. Es ist keine Präzisionschirurgie. Ich bin mir sicher, mit Google finden Sie eine bessere Zeichnung als die, die ich gemacht habe.«
» Ist es möglich, dass diese Rippe überhaupt nie da war?«
» Ein kleiner Teil der Bevölkerung wird mit einem Rippenpaar weniger geboren, aber die Mehrheit von uns hat vierundzwanzig.«
» Ich dachte, den Männern fehlt eine Rippe?«
» Sie meinen, wegen Adam und Eva?« Ein Lächeln umspielte Saras Lippen, und Faith hatte das Gefühl, die Frau musste sich Mühe geben, um sie nicht auszulachen. » Ich würde nicht alles glauben, was man Ihnen in der Sonntagsschule beigebracht hat, Faith. Wir alle haben dieselbe Anzahl von Rippen.«
» Na, da komme ich mir jetzt nicht blöd vor.« Es war keine Frage. » Aber Sie sind sich ganz sicher, diese Rippe wurde entfernt?«
» Herausgerissen. Sehnen und Muskel wurden zerrissen. Das war heftige Gewalteinwirkung.«
» Sie scheinen viel darüber nachgedacht zu haben.«
Sara zuckte die Achseln, als wäre das nur das Ergebnis normaler Neugier. Sie nahm wieder Messer und Gabel zur Hand – und legte das Besteck dann wieder weg. Sie lächelte merkwürdig, fast verlegen. » In meinen früheren Leben war ich Coroner.«
Faith merkte, wie ihr vor Überraschung der Mund aufklappte. Die Ärztin hatte es auf dieselbe Art gesagt, wie man jemandem ein akrobatisches Talent oder eine Jugendsünde anvertrauen würde. » Wo?«
» Im Grant County. Das ist ungefähr vier Stunden von hier entfernt.«
» Noch nie davon gehört.«
» Na ja, das liegt deutlich unter der Mückenlinie«, gab Sara zu. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch, und ihre Stimme klang leicht wehmütig, als sie fortfuhr: » Ich nahm den Job an, damit ich meinen Partner aus unserer gemeinsamen Pädiatrie-Praxis herauskaufen konnte. Zumindest redete ich mir das ein. Tatsächlich war ich aber
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