Sara Linton 01 - Tote Augen
vierzehnjährige Faith verkündet hatte, dass sie schwanger war, hatte Zeke eben das letzte Highschool-Jahr begonnen. Seine Kränkung und Demütigung hatte vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche angehalten. Zu Hause musste er zusehen, wie seine Schlampe von einer Teenager-Schwester anschwoll wie ein Heißluftballon, außerhalb musste er sich die derben Witze anhören, die seine Freunde über sie rissen. Kein Wunder, dass er direkt nach der Highschool zum Militär gegangen war.
Dann war da noch Jeremy. Faith hatte keine Ahnung, wie sie ihm sagen sollte, dass sie schwanger war. Er war achtzehn, so alt wie Zeke gewesen war, als sie sein Leben zerstört hatte. Wenn Jungs schon nicht wissen wollten, dass ihre Schwestern Sex hatten, dann wollten sie es mit Sicherheit auch nicht von ihren Müttern wissen.
Faith hatte den Großteil ihres Erwachsenwerdens mit Jeremy verbracht, und jetzt, da er im College war, verwandelte sich ihre Beziehung zu einer entspannten Gemeinschaft, in der sie wie Erwachsene miteinander reden konnten. Natürlich blitzten noch manchmal Bilder ihres Sohns als Kind vor ihr auf – die Decke, die er früher überall mit sich herumschleppte, wie er sie beständig fragte, wann er für sie zu schwer zum Herumtragen sein würde –, aber sie hatte sich endlich mit der Tatsache abgefunden, dass ihr kleiner Junge nun ein erwachsener Mann war. Wie konnte sie ihrem Sohn den Boden unter den Füßen wegziehen, jetzt, da er sein Leben gefunden hatte? Und es ging ja nicht mehr nur darum, dass sie schwanger war. Sie hatte eine Krankheit. Sie hatte etwas, das in der Familie weitergegeben werden konnte. Jeremy konnte anfällig dafür sein. Er hatte eine Freundin. Faith wusste, dass sie Sex miteinander hatten. Jeremys Kinder konnten wegen Faith zu Diabetikern werden.
» O Gott«, murmelte sie. Es war nicht der Diabetes, sondern der Gedanke, dass sie Großmutter sein konnte, bevor sie vierunddreißig Jahre alt wurde.
» Wie fühlen Sie sich?«
Als Faith den Kopf hob, sah sie Sara Linton mit einem Tablett voller Essen vor sich stehen.
» Alt.«
» Nur wegen der Broschüre?«
Faith hatte vergessen, dass sie die noch in der Hand hatte. Sie deutete auf einen freien Stuhl an ihrem Tisch. » Um ehrlich zu sein, ich habe eben Ihre medizinischen Fähigkeiten in Zweifel gezogen.«
» Da wären Sie nicht die Erste.« Sara sagte es wehmütig, und Faith fragte sich nicht zum ersten Mal, was diese Ärztin für eine Geschichte hatte. » Mein Verhalten vorher hätte besser sein können.«
Faith konnte ihr nicht widersprechen. In der Notaufnahme hatte sie Sara Linton vom ersten Augenblick an hassen wollen, ganz einfach deshalb, weil sie der Typ Frau war, den man von Anfang an hassen wollte: groß und schlank mit großspurigem Auftreten, langen, kastanienbraunen Haaren und dieser außerordentlichen Schönheit, wegen der Männer über die eigenen Füße stolperten, wenn sie einen Raum betrat. Es machte die Sache auch nicht besser, dass die Frau offensichtlich intelligent und erfolgreich war, und Faith hatte genau diese spontane Antipathie gespürt, die sie in der Highschool empfunden hatte, wenn die Cheerleader vorbeigehüpft waren. Sie hatte sich eingebildet, eine neue Charakterstärke, ein Reifungsprozess hätte ihr gestattet, dieses kindische Gefühl hinter sich zu lassen, tatsächlich aber fiel es Faith einfach nur schwer, eine Frau zu hassen, die Witwe war, vor allem die Witwe eines Polizisten.
Sara fragte: » Haben Sie seit unserem Gespräch irgendetwas gegessen?«
Faith schüttelte den Kopf und schaute hinunter auf das Menü der Ärztin: Ein vertrocknetes Stück gebratenen Hähnchens auf einem verwelkten Salatblatt und etwas, das Gemüse hätte sein können oder auch nicht. Mit Plastikmesser und -gabel schnitt Sara in das Hähnchen. Zumindest versuchte sie, es zu schneiden. Letztendlich war es mehr ein Reißen. Sie nahm sich das Brötchen vom Brotteller und gab Faith das Hähnchen.
» Danke«, murmelte Faith und dachte, dass die Schokotörtchen, die sie beim Hereinkommen bemerkt hatte, viel appetitlicher ausgesehen hatten.
Sara fragte: » Sind Sie offiziell für diesen Fall zuständig?«
Faith überraschte die Frage, andererseits hatte Sara das Opfer versorgt, da musste sie zwangsläufig neugierig sein. » Will hat es geschafft, ihn zu uns zu holen.« Sie kontrollierte das Signal ihres Handys und fragte sich, warum er noch nicht angerufen hatte.
» Ich bin mir sicher, die Ortspolizei hat Ihnen das
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