Sara Linton 01 - Tote Augen
ihr dokumentierten Gräuel bezeugte, hatte sie in ihrer Brust eine rechtschaffende Rache brennen spüren.
» Sara?«
Sie merkte, dass sie still geworden war. Sie musste sich räuspern, bevor sie zu Pete sagen konnte: » Ich habe die Aufnahmen unserer Unbekannten von letzter Nacht vom Grady herüberschicken lassen. Wir glauben, dass sie Anna heißt.«
Er klickte sich durch die Datei und holte Annas Röntgenbilder auf den Monitor. » Ist sie bei Bewusstsein?«
» Ich habe im Krankenhaus angerufen, bevor ich hierherkam. Sie ist immer noch bewusstlos.«
» Neurologische Schäden?«
» Sie hat die Operation überstanden, was kaum jemand erwartet hätte. Reflexe sind gut, Pupillen reagieren noch immer nicht. Für heute Nachmittag ist ein Scan geplant. Die Hauptsorge ist jedoch die Infektion. Man hat einige Kulturen angesetzt und versucht herauszufinden, wie man sie am besten behandelt. Sanderson hat das Zentrum für Infektionskrankheiten alarmiert.«
» O Mann.« Pete betrachtete die Aufnahme. » Was meinen Sie, wie viel Kraft in der Hand ist dazu nötig, eine Rippe so herauszureißen?«
» Sie war ausgehungert, dehydriert. Ich schätze, das hat es einfacher gemacht.«
» Gefesselt – viel Widerstand konnte sie ihm sicher nicht entgegensetzen. Aber dennoch … meine Güte. Erinnert mich an die dritte Mrs Hanson. Vivian war Bodybuilderin, wissen Sie. Bizeps so dick wie mein Bein. Ein Mordsweib.«
» Vielen Dank, Pete. Danke, dass Sie sich um ihn gekümmert haben.«
Er zwinkerte ihr noch einmal zu. » Man verdient Respekt, indem man ihn anderen erweist.«
Sie kannte diesen Spruch noch aus seinen Vorlesungen.
» Snoopy«, sagte Pete, als der Mann eine Rollbahre durch die Doppeltür schob. Jacquelyn Zabels Kopf war über einem weißen Leintuch zu sehen, die Haut war rötlich grau verfärbt, weil sie kopfüber in dem Baum gehangen hatte. Um die Lippen herum war die Farbe noch dunkler, als hätte ihr jemand eine Handvoll Blaubeeren auf den Mund geschmiert. Sara fiel auf, dass die Frau attraktiv gewesen war, mit nur wenigen Fältchen an den Augenwinkeln, die auf ihr Alter hinwiesen. Wieder musste sie an Anna denken und an die Tatsache, dass auch sie eine bemerkenswerte Frau war.
Pete schien dasselbe zu denken. » Je schöner die Frau, umso furchtbarer das Verbrechen. Warum nur?«
Sara zuckte die Achseln. Es war ein Phänomen, das sie auch als Coroner im Grant County beobachtet hatte. Schöne Frauen zahlten eher einen höheren Preis, wenn es um Mord ging.
» Schieben Sie sie an meinen Platz«, sagte Pete zu seinem Assistenten.
Sara betrachtete die ausdruckslose Art, mit der Snoopy seiner Arbeit nachging, die methodische Sorgfalt, mit der er die Leiche zu einem leeren Platz in der Reihe bugsierte. Pete war hier in der Minderheit; die meisten Leute, die in der Leichenhalle arbeiteten, war entweder Afroamerikaner oder Frauen. Im Grady Hospital war es genauso, und das war durchaus einleuchtend, denn Sara war aufgefallen, dass scheußliche Arbeiten sehr oft von Frauen oder Angehörigen einer Minderheit übernommen wurden.
Snoopy trat die Bremsen an den Rädern fest und fing an, die diversen Skalpelle, Messer und Sägen zu organisieren, die Pete im Verlauf der nächsten Stunden brauchen würde. Er hatte eben eine große Baumschere herausgezogen, wie man sie normalerweise in der Gartenabteilung eines Eisenwarenladens fand, als Will und Faith in den Autopsiesaal kamen.
Will wirkte etwas ratlos, als sie an den geöffneten Leichen vorbeigingen. Faith dagegen sah noch schlimmer aus als bei ihrer ersten Begegnung im Krankenhaus. Die Lippen der Frau waren weiß, und sie starrte stur geradeaus, als sie an einem Mann vorbeiging, dem man das Gesicht vom Schädel geschält hatte, damit der Arzt nach Quetschungen suchen konnte.
» Dr. Linton«, sagte Will, » vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Ich weiß, dass Sie heute eigentlich Ihren freien Tag haben.«
Sara konnte nur lächeln und nicken, sie wunderte sich über die Förmlichkeit seiner Ausdrucksweise. Mit jeder Minute, die verging, klang er mehr wie ein Banker. Sie hatte noch immer Schwierigkeiten, den Mann mit seinem Job in Verbindung zu bringen.
Pete hielt Sara ein Paar Handschuhe hin, aber sie lehnte ab und sagte: » Ich bin nur als Beobachterin hier.«
» Wollen sich wohl nicht die Hände schmutzig machen?« Er blies in den Handschuh, um ihn zu öffnen, und streifte ihn sich über die Hand. » Wollen Sie danach mit mir zum Essen gehen? Drüben auf der Highland
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