Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom
Modell. «
Kunz starrte in die Luft, nahm seine Brille ab und den Bügel in den Mund. Er wusste im Moment nicht weiter. Auch David reagierte nicht. Beide wollten oder konnten offenbar nicht entscheiden, ob sie die Polizei einschalten sollten oder nicht.
» Ich fahre heute Mittag mit Conny zu Veronika Brand « , sagte Sarah schließlich, nur um irgendetwas zu sagen. » Vielleicht erfahren wir ja dort etwas Brauchbares. «
» Das werden wir nicht tun « , hörte sie da Connys Stimme. Conny hatte unbemerkt Davids Büro betreten. Hinter ihr tauchte Sissi auf. Der Mops lief wie üblich zwischen allen Anwesenden im Raum hin und her, wedelte mit seinem Ringelschwanz und forderte Streicheleinheiten ein.
» Veronika Brand hat mich soeben angerufen. Angeblich hat sie einen wichtigen Termin und kann sich daher nicht mit mir treffen. Außerdem hat sie es sich überlegt und will im Moment generell nicht mit der Presse reden. Die Familie müsse sich erst einmal sammeln. ›Sie müssen verstehen, die Familie steht unter Schock. Es ist ein großer Verlust, nicht nur für das Unternehmen.‹ « , äffte sie Veronika Brands Tonfall nach. » Bla bla bla. «
» Scheiße, auch das noch! « , entfuhr es Sarah.
» Wieso? Was ist noch passiert? « Connys Neugierde war geweckt.
» Der Tote hat uns eine Mail via iPhone zukommen lassen. « David zeigte auf den Bildschirm und weihte Conny mit wenigen Worten in das Geschehen ein.
» Und Sarah meint, es sehe aus, als liege er Michelangelo Modell « , ergänzte Kunz, diesmal ohne zynischen Unterton. » Sie schlussfolgert daraus, dass Brand ermordet wurde. «
» Und was spricht dagegen, dass er umgebracht wurde, Kunz? « Conny klang gereizt. Alle im Raum wussten, dass sie sich nicht so schnell beruhigen würde.
Der Chef vom Dienst kannte Conny gut genug, um zu wissen, dass die Löwin soeben ihn als Prellbock auserwählt hatte. Wenn sie nur den Nachnamen eines Kollegen bellte, war höchste Vorsicht angesagt. Er war schlau genug, auf ihre rein rhetorisch gestellte Frage nicht zu antworten.
» Und dieser Jemand hat auch das Handy des Toten und damit wahrscheinlich das Nacktfoto geschossen und verschickt « , resümierte Sarah. Sie lächelte. » Ich denke, ich werde jetzt tatsächlich einmal mit der Frau Kommunikationsleiterin einen Termin vereinbaren, und ich gebe dir Recht, David, Philipp Brand wird sicher sehr gerne bei dem Gespräch dabei sein. «
David reichte ihr den Telefonhörer über den Tisch hinweg. Sarah griff danach und ließ sich mit Ulrike Kastler verbinden, die ihr versprach, sie gleich zurückzurufen.
Keine Viertelstunde später hatte Sarah einen Termin. Sie sollte gegen drei Uhr dort sein. Früher als sie dachte. Bis zum Treffen blieb ihr noch Zeit. Die wollte sie nutzen und sich eingehender mit Renate M. beschäftigen. Sie ließ die beiden Männer alleine, ging in ihr Büro und durchsuchte noch einmal das Archiv. Die Nachforschungen und damit auch das Interesse an dem Fall damals hielten sich in Grenzen. Man verwertete, was reinkam, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, mit Angehörigen zu sprechen oder sonstige Recherchen anzustellen. Renate M. war eine von vielen Meldungen, die täglich die Redaktion erreichten. Die Geschichte war offensichtlich nicht spektakulär genug gewesen.
Sarah fand heraus, dass die Frau mit vollständigem Namen Renate Maurer hieß und 36 Jahre alt war, als sie starb. In einem Nebensatz wurde erwähnt, dass sie Sachbearbeiterin gewesen war. Das Internet gab nicht viel mehr her. Dennoch war es danach nur noch ein winziger Schritt, und sie hielt den Ausdruck eines Fotos in Händen. Sarah sah in die graublauen Augen einer jungen Frau, die in die Kamera lächelte. Sie wirkte sympathisch, war attraktiv, hatte ein gleichmäßiges Gesicht mit einer geraden Nase, auf der winzige Sommersprossen zu erkennen waren.
Sie steckte das Bild ein und verließ pünktlich die Redaktion.
17
SARAH PAULI
D ie Brand&Sohn AG lag im 23. Bezirk. Liesing verfügte über den höchsten Prozentanteil an Betriebsbaugebieten. Eine Gegend Wiens, in die Sarah sehr selten kam, weshalb sie sich in diesem südwestlich gelegenen Bezirk nicht leicht zurechtfand. Sie war wie üblich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, wusste stellenweise nicht, ob sie in die richtige Richtung fuhr, fragte nach dem Aussteigen mehrmals Passanten nach dem Weg. Ihr Orientierungssinn ließ generell eher zu wünschen übrig – hier versagte er gänzlich. Deshalb war sie überrascht,
Weitere Kostenlose Bücher