Sarg niemals nie
verzweifelt auf.
In der Bank verbrachten wir die Wartezeit auf denselben Stühlen, auf denen wir schon einmal gesessen hatten, auf demselben Flur und unter den nämlichen großen Buchstaben.
»Wenigstens habe ich dieses Mal gleich von vornherein den richtigen Platz gewählt«, erklärte John. Zufrieden seufzend setzte er sich vor PLUM und fingerte abwesendan seinem Hemd herum. Percys Kleidung passte uns beiden recht gut, nur die Ärmel und die Hosenbeine waren ein wenig länger, als es John lieb war. Er hatte mehrere Hemdknöpfe offen gelassen und trug nur eine grüne Weste ohne Jacke oder Hut.
»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass Sie mich dazu überredet haben«, murmelte Percy kopfschüttelnd. Unruhig schritt er auf und ab, keine schlechte Leistung, da er sich in dem schmalen Flur quer bewegte und hin und zurück kaum mehr als einen Schritt Platz hatte.
In diesem Moment öffnete sich die Außentür, und eine Frau kam von der Straße herein. Sie war etwas älter, aber elegant gekleidet, und band sofort den Hut los.
»Ist dies das Wartezimmer?«, fragte sie.
»Stumm wie ein Grab ist es hier immer«, antwortete John. Er stand auf und verneigte sich. »Bitte, Teuerste, darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?« Die Frau betrachtete die freien Stühle, dann wieder John, fand aber offenbar nichts Falsches an seinem Angebot und setzte sich höflich.
»Danke«, sagte sie. »Und wie ist Ihr Name?«
»John Keats, junge Dame.«
»Junge Dame?« Sie lächelte leicht. »Wohl eher Ihre Mutter, wenn wir auf das Alter sehen.«
»Der Weisheit nach vielleicht«, antwortete John lächelnd. »Aber Ihre Schönheit wird nie vergehen.«
»Bitte, verzeihen Sie meinem Freund«, sagte ich. »Er hat eine seltsame Art, Fremde zu begrüßen.«
»Das macht doch nichts.« Sie lächelte mich an. »Das Reimen ist viel besser, als sich Gefahren stellen zu müssen.«
John blieb stocksteif stehen, riss die Augen weit auf und setzte sich langsam neben sie, als wäre es ein erhebendes Erlebnis, ihr zu begegnen.
»Dann gibt es also zwei von eurer Sorte.« Ich zog die Augenbrauen hoch. »Welch glückliches Zusammentreffen.«
»Und wie ist Ihr Name, werte Dame?«, fragte John.
»Anne«, antwortete sie freundlich. »Mit oder ohne E am Ende, wie es Ihnen beliebt. Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden.«
»Warum dauert das nur so lange?«, klagte Percy. »Die Bankiers wollten doch nur den Leichnam des alten Mannes sehen. Warum kommt nicht einfach jemand heraus und sieht ihn sich an?«
»Wir arbeiten in einem Bestattungsunternehmen«, erklärte ich der Frau. »Kein Grund zur Sorge.«
»Stellen Sie hier einen Toten aus?«, fragte sie. »Er muss aber klein sein, wenn er sich in diesem Raum verbirgt.«
»Er wird später geliefert«, sagte John. »Aber ich arbeite eigentlich gar nicht in dem Bestattungsunternehmen. Ich bin ein Dichter.«
»Was führt Sie hierher?«, fragte ich die Dame, um ihr die Strapazen der Hirnwindungen zu ersparen, zu denen die Unterhaltungen mit John so häufig ausuferten.
»Eigentlich ist es nur eine Kleinigkeit«, erwiderte sie. »Ich erwarte einen Anfall von Schwindsucht.«
»Und deshalb suchen Sie eine Bank auf?«
»Mein gesundheitlicher Zustand ist recht ungewöhnlich.«
»Sind Sie denn eine Anhängerin der Poesie?«, fragte John.
Ich seufzte. Jetzt war sie dran.
»Poesie?«, fragte die Dame. »Dieses Wort hört man selten. Viel öfter spricht man hier doch wohl von Lyrik , was das Gleiche bedeutet und viel besser verstanden wird.«
»Unter gewöhnlichen Umständen würde ich zustimmen«, räumte John ein, »aber das Wort Lyrik hat ein paar Fehler, an denen man einfach nicht vorbeikommt.«
»Welche denn?«, wollte die Frau wissen.
»Auf das Wort reimt sich nichts«, erklärte John.
»Der Ort, der Sport, der Mord, an Bord«, wandte Percy ein. »Das reimt sich alles auf das Wort . Aber mir ist das völlig gleichgültig, ich muss nachdenken.«
»Vielleicht sollten Sie sich setzen«, schlug ich vor.
»Das meinte ich nicht«, widersprach John. »Ich meinte, dass sich auf das Wort Lyrik nichts reimt. Oder so gut wie nichts. Jeder kann etwas erfinden wie: Meine Lyrik bekommt ungerechte Kritik. Aber das geht gründlich daneben, denn es ist kein guter Reim.«
»Was meinst du damit, dass jeder so etwas erfinden kann?«, antwortete ich. »Das war doch ein eleganter Reim. Mir wäre so etwas nie eingefallen.«
»Es geht schließlich nicht allein um den Reim«, erläuterte John der Dame, als hätte
Weitere Kostenlose Bücher