Sassinak
Flotten-Notmaske dabei hatte.
»Ihre ID!« Es war ein großer Militärpolizist in Sturmuniform; Sass händigte ihm ihre neue Flotten-ID-Karte aus. Er steckte sie in seinen Gürtelcomputer und gab sie ihr zurück. »Haben Sie damit angefangen?« fragte er. »Oder gesehen, wer angefangen hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber es ist hier drüben losgegangen. Ich bin gerade zurückgekommen …«
»Warum sind Sie nicht rausgegangen und haben Hilfe gerufen?«
»Mein Vater … mein Vormund war hier drüben.«
»Name?«
Sass nannte ihm Abes Namen und seine ID-Nummer; der Militärpolizist gab ihr mit einem Wink zu verstehen, daß sie ihn suchen sollte. Sie zwängte sich hinter zwei umgestürzte Tische durch. War es dieser hier oder dieser? Drei schlaffe Körper lagen kreuz und quer übereinander. Sass wälzte den oberen herum; der Militärpolizist half ihr. Der nächste trug einen grauen Raumfahreroverall, ein langer, knochiger Mann, dem Erbrochenes aus dem Mundwinkel rann. Und ganz unten lag Abe. Sass nickte dem Militärpolizisten zu, und er nahm ein geladenes Wiederbelebungsgerät und reichte es ihr; sie hielt es Abe über den offenen Mund. Mit dem schlaffen Mund sah er so … so tot aus. Der Militärpolizist hatte den großen Raumfahrer weggezogen und half ihr anschließend, Abe auf den Rücken zu rollen.
Im selben Moment sah sie das schwarze Loch in seiner Brust. Sass erkannte es im ersten Moment nicht und streckte die Hand aus, um den Fleck von seiner Jacke zu wischen. Er hatte etwas gegen Dreck auf der neuen Jacke, die er eigens für ihre Abschlußfeier gekauft hatte. Aber der Militärpolizist packte sie am Handgelenk. Sie sah ihn an.
»Er ist tot«, sagte er. »Jemand hatte eine Nadelwaffe.«
Selbst als alles vor ihren Augen verschwamm, dachte sie noch: »Ein Schock. Er hat sicher einen Schock erlitten.« Sie konnte sich nicht vorstellen, daß Abe wirklich tot war … er war nicht tot. Dies hier war nur eine weitere Übung, ein weiterer Test, wie der Test im Trainingsschiff, wo man die Hälfte der Studenten so zurechtgemacht hatte, daß sie wie verwundete Opfer aussahen. Sie erinnerte sich an das realistische Glänzen der falschen Bauchwunden, die eine Spur von Eingeweiden über die Deckfliesen gezogen hatten. Es war einfacher, an diese Situation zu denken, an die ebenso falsche Amputation als an das dumme kleine schwarze Loch in Abes Jacke.
Später hörte sie durch eine offene Tür in der Krankenstation, daß sie normal gehandelt hatte, nicht wie unter Drogen- oder Alkoholeinwirkung oder irrational. Sie saß auf einem grauen Plastikstuhl einem vollgepackten Schreibtisch gegenüber, hinter dem jemand eifrig an einem Computer arbeitete. Wie jeden Boden, den sie in den letzten vier Jahren gesehen hatte, sprenkelte ein zufälliges Fleckenmuster die Fliesen. Sie wandte den Kopf zur Tür, und ein Militärpolizist mit seinem Sturmhelm unterm Arm sah sie ausdruckslos an. Sie war eine Flottenangehörige, sie hatte die Prügelei nicht angefangen, sie hatte nicht hysterisch reagiert, als sie Abes Leiche fand. Sie hatte sich nichts vorzuwerfen.
Aber gut fühlte sie sich nicht dabei. Ihre Gedanken gingen immer wieder die Minute durch, die der Kampf ungefähr gedauert hatte, gingen wie in Zeitlupe die kleinsten Einzelheiten durch und suchten nach etwas, das sie nicht benennen konnte. Wo hatte es angefangen? Wer? Sie hatte die Getränke getragen: Abes eckige, gedrungene Flasche mit dem Prium-Branntwein und das Stilglas, das dazugehörte, außerdem etwas Besonderes für sich selbst: Caprianischen Likör. Sie hatte befürchtet, der kleine Becher aus silbergespültem Kristall – das einzige geeignete Gefäß für Caprianischen Likör – könne vom Tablett kippen, wenn sie mit jemandem zusammenstieß, deshalb hatte sie nicht mehr als einen Körper weitergesehen, als die Prügelei losging. Sie hatte aufgeblickt, als … hatte sie etwas gehört oder doch etwas gesehen, ohne es bewußt wahrzunehmen? Sie konnte es nicht bestimmen und überlegte weiter. Sie hatte das Tablett fallenlassen, und in ihrer Erinnerung stürzte es in Zeitlupe zu Boden und die Flasche und die Gläser kippten auf die Schulter eines Mannes in einem grauen Raumfahreroverall, der an dem Tisch daß, an dem sie gerade vorbeiging.
Plötzlich fiel ihr etwas auf, ein vager Hinweis vielleicht. Inmitten der Prügelei hatte jemand zu ihrer Rechten einen Tritt mit einer Bewegung abgewehrt, die man nur in der Akademieausbildung lernte … eine Bewegung, die man
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