Sassinak
mächtiger Refrain »Damit wir nicht vergessen – damit wir nicht vergessen« ihr noch beim nächsten Psalm und der nächsten Lesung in den Ohren dröhnten. Mit den anderen setzte sich Sass, stand auf, kniete nieder und spürte die Gegenwart derer, die sie beobachteten. Es schien unendlich lange zu dauern, bis der Geistliche die Seelenmesse begann; ihre Gedanken drehten sich noch um die Worte »Staub zu Staub …«, als sie längst verklungen waren und der Geistliche die Trauergemeinde segnete. Und dann setzte die Musik wieder ein, diesmal die Flottenhymne. Sass folgte dem Sarg durch das Aufbrausen der Stimmen und war entschlossen, nicht zu weinen.
»Ewiger Vater, gib ihm …« Ihre Kehle zog sich zu; ihre Lippen konnten nicht einmal stumm die Worte formen, die ihr Tränen in die Augen trieben.
Am anderen Ende des getäfelten Vorhofs der Akademie hingen die Flaggen vor dem Gebäude auf Halbmast, und ein Trupp von Jungfähnrichen, der gerade vorbeimarschierte, blieb reglos stehen, als die Prozession sich auf den Weg machte. Durch die großen Bogentore erreichten sie die breite Allee, wo Marines den Straßenverkehr anhielten und der archaische Katafalk wartete, vor den man eine Gruppe schwarzer Pferde gespannt hatte. Sass konzentrierte sich auf die Pferde, die Schnallen an ihrem Geschirr, das in die Messingteile eingeprägte Flottensiegel … eigentlich war es ja lächerlich, daß eine Truppe, die im Weltraum tätig war, für ihre Beerdigungen auf einen von Pferden gezogenen Katafalk zurückgriff.
Aber als sie ihm zu Fuß von den Toren der Akademie bis zum Kai unter der Stadt folgten, kam es ihr nicht mehr lächerlich vor. Jeder Schritt menschlicher Füße, jedes Hufeklappern schien angemessen. Es zeugte von Respekt, wenn man sich in einer geschäftigen modernen Umgebung die Zeit nahm, Dinge auf eine altmodische Art zu tun. Als Abes einzige Angehörige ging Sass allein hinter dem Katafalk; ihr folgten Abes Freunde, die noch der Flotte angehörten, erst die Unteroffiziere, dann die Offiziere.
Am Kai gab der Eskortenkommandeur der Kapelle den Einsatz, und sie spielte eine Melodie, die Sass noch nie gehört hatte, aber schon beim ersten Takt für angemessen hielt. Stark, ernst, aber nicht trostlos, zwang sie der Prozession ihre Stimmung auf. Auf den ringsum verankerten Schiffen gingen Soldaten und Offiziere in Habachtstellung; die Fahnen wurden auf Halbmast gesetzt, so auch auf der schmalen und eleganten Carly Pierce, dem einzigen Schlachtschiff der Flotte (ein Veteran zweier Schlachten gegen Flußpiraten in den frühen Tagen von Reggs Geschichte, bevor der Planet das Hauptquartier der Flotte wurde). Die Prozession hielt an; von ihrer Position hinter dem Katafalk aus konnte Sass kaum die Sargträger erkennen, die eine Gasse zur Laufplanke bildeten. Salutschüsse und Ehrenbezeigungen wurden gewechselt; die Kapelle rasselte einmal warnend mit den Trommelstöcken, und die Leichenträger ließen den Sarg vom Katafalk rutschen. Sass folgte ihnen zur Laufplanke. Es war nur nur ein kurzes Stück; und doch eine so weite Distanz, wenn man zurückkehren wollte …
Und schließlich standen sie alle auf Deck, und die Leichenträger setzten den Sarg auf ein vorbereitetes Gestell, entfernten die Flagge und hielten sie trotz einer frischen Brise vom Meer straff. Sass starrte an ihr vorbei ins Wasser, das kleine silberne und blaue Wellen kräuselten. Sie spürte kaum etwas davon, wie das Schiff ablegte und fast lautlos durch die Wellen glitt, die Bucht durchquerte und die ausgezackte Insel darin umschiffte. Im Windschatten dieser Insel, gegenüber der großen Klippen, hielt das Schiff an, während der Geistliche die letzten Worte sprach.
»… gewähre ihm ewige Ruhe, o Herr …« Und die anderen Stimmen schlossen sich an: »Und schenke ihm Dein ewiges Licht.«
Der Geistliche trat zur Seite; der Eskortenkommandeur brachte die Eskorte in Habachtstellung, und drei laute Salven schallten in bruchstückhaften Echos von der Insel und den Klippen dahinter. Vögel stoben kreischend von den Klippen auf, und ihre weißen Flügel blitzten im Sonnenlicht. Sass biß die Zähne aufeinander. Jetzt war es soweit. Sie versuchte nicht hinzusehen, als das Gestell gekippt wurde und der Sarg ins Meer glitt.
Wie von der Himmelswölbung herab tönte ein einzelnes Signalhorn, Note um Note, langsam und unaufhaltsam. Aus. Sass schauderte unwillkürlich. In den letzten vier Jahren hatte dieses Signal ihre Tage beendet – und jetzt beendete es seine. Es
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