Satori - Winslow, D: Satori - Satori
die Tür, zog den Mann auf den Bürgersteig hinaus und stieg selbst in den Wagen.
Ein zweites Auto kam röhrend die Straße hinauf.
Ein Mann beugte sich aus dem Fenster der Beifahrerseite und schoss.
Nikolai legte sich flach auf den Sitz, während die Kugeln die Windschutzscheibe durchschlugen und Glassplitter auf ihn herabregneten. Er nahm die Pistole in die eine Hand, streckte die andere aus, öffnete die Beifahrertür und ließ sich auf den Bürgersteig fallen. Im Schutz des von Schüssen zersiebten Wagens kroch er bäuchlings weiter und sah, als er aufschaute, einen verdatterten Boten auf einem Motorroller vor sich.
»Tut mir leid«, sagte Nikolai, holte aus und stieß den Mann vom Roller.
Er sprang auf und raste davon.
Der Fahrer des Wagens sah ihn und nahm die Verfolgung auf.
Nikolai beugte sich so tief wie möglich über den Lenker, während die Kugeln über seinen Kopf hinwegpfiffen. Die Polizeisirenen übertönten das Geschrei und die Rufe der Schaulustigen, als er sich durch den Verkehr schlängelte, seine Verfolger dicht hinter ihm.
Er musste einen größeren Vorsprung gewinnen.
Seine Gedanken wanderten zum go-kang zurück, wo es zwei Möglichkeiten gab, Raum zu schaffen. Nach der traditionellen und berechenbaren Vorgehensweise hätte man einen Stein möglichst weit vom Gegner entfernt platziert, was in diesem Fall bedeutet hätte, möglichst stark zu beschleunigen, um Abstand zu gewinnen.
Die andere Methode bestand darin, den gegnerischen Stein auszuschalten, der einem am nächsten war.
Nikolai bremste ab und ließ den Wagen näher herankommen. Dann riss er den Lenker herum, wendete und griff an. Er feuerte mit der einen Hand, gab Gas mit der anderen und fuhr direkt auf den verdutzten Fahrer zu, wie ein Kamikaze-Pilot, der wild entschlossen ist, sein Leben für einen möglichst hohen Preis zu verkaufen.
Dem Schützen gelang es, noch einmal abzudrücken, bevor er aus der Tür fiel. Der Fahrer duckte sich hinter das Lenkrad. In letzter Sekunde wich Nikolai aus, verfehlte den Wagen nur um wenige Zentimeter und verschwand im tosenden Verkehr auf der Rue Catinat. Im Chaos der Hauptverkehrszeit gelangte er bis zum Hafen, über die Brücke und nach Cholon.
129
Der Tiger knurrte.
Nikolai erschrak zunächst, denn er befand sich in einer dicht bevölkerten Stadt und nicht im Dschungel. Dann fiel ihm wieder ein, dass Bay Vien in seiner riesigen Villa am Rand von Cholon einen Privatzoo unterhielt. Er erstarrte einen Augenblick, schlich sich dann aber weiter an der hohen Steinmauer entlang, die Bay Viens Stadtfestung umgrenzte.
Er hatte die Stunden bis zum Anbruch der Nacht in den dunklen Ecken der Quan Am Pagode in der Lao Tu Street im Herzen Cholons ausgeharrt. Die wenigen Pilger, die in der Dämmerung hereinkamen, um dem Amithaba Buddha zu huldigen, verbeugten sich und sangen ihr »Namu Amida Butsu«, schenkten Nikolai aber keinerlei Beachtung. Als die Sonne untergegangen war und das Viertel nur noch von Laternen erleuchtet wurde, riskierte er es, sein Versteck zu verlassen. Doch er blieb in den engen Hintergassen und mied die Umgebung des Grand Monde und des Parc à Buffles.
Noch wusste er nicht, auf wessen Konto der Mord- oder Entführungsversuch ging. Es hätten Bao Dai, Diamond oder Haverford sein können. Der Angriff erfolgte zehn Minuten, nachdem Haverford ihn in der Sporting Bar in seine Schranken verwiesen hatte. Vergeudete keine Zeit, der überaus tüchtige Ellis Haverford.
Trotzdem, sicher war Nikolai nicht.
Vielleicht steckte auch die Sûreté oder das Deuxième Bureau dahinter. Es hätten sogar die Viet Minh gewesen sein können, wenn sie zu dem Schluss gekommen waren, dass er sie hintergangen hatte.
Nikolai wartete, bis es dunkel war, und machte sich dann auf den Weg zu Bay Viens prunkvollem Anwesen. Und wenn es Bay Vien war, der mich umbringen wollte? Nikolai überlegte. Dann bin ich so gut wie tot.
Aus einer offenen Straßenküche hatte er ein warmes Stück Kohle stibitzt und sich in die Tasche gesteckt. Jetzt, an der Mauer von Bay Viens Villa, nahm er es heraus, schwärzte sich damit Gesicht und Hände und warf es anschließend ins Gebüsch. Ein doppelter Strang Stacheldraht säumte die zweieinhalb Meter hohe Mauer mit Glasscherben – haupt sächlich Coca-Cola-Flaschen, wie Nikolai registrierte –, die auf der Oberkante in den Mörtel eingelassen waren. Auf einer Seite des Eisentors, das den Haupteingang versperrte, stand ein klotziger Wachturm, und Suchscheinwerfer
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