Saturn
immer sie bekommen.
Die Leute setzten sich auf die Stühle, die für sie aufgestellt
worden waren. Eberly sah, dass viele Stühle leer blieben. Ehe
das Publikum wieder unruhig wurde, erhob er sich langsam
und trat ans Podium.
»Die Sache ist mir irgendwie peinlich«, sagte er, während er
das Mikrofon am Gewand befestigte. »Professor Wilmot kann
heute Abend nämlich nicht bei uns sein und hat mich deshalb
gebeten, an seiner Stelle als Moderator zu fungieren.«
»Das muss dir doch nicht peinlich sein!«, ertönte eine
Frauenstimme irgendwo in der Menge.
Eberly schaute mit einem strahlenden Lächeln in ihre
ungefähre Richtung und fuhr fort: »Wie Sie vielleicht schon
wissen, wollen wir Sie heute Abend nicht mit langatmigen
Ausführungen langweilen. Jeder Kandidat wird ein kurzes,
fünfminütiges Statement abgeben, das seine Position in Bezug
auf die wichtigsten Themen zusammenfasst. Nach diesen
Statements werden Sie dann Gelegenheit haben, den
Kandidaten Fragen zu stellen.«
Er hielt für eine Sekunde inne und fuhr dann fort: »Die
Reihenfolge der Redner für diesen Abend wurde ausgelost,
und ich darf anfangen. Allerdings glaube ich, dass es zu viel
des Guten wäre, wenn ich der Moderator und der erste Redner
wäre; also werde ich die Reihenfolge, in der die Kandidaten
ihre Statements abgeben, ändern und als Letzter sprechen.«
Es herrschte Totenstille im Publikum. Eberly drehte sich
leicht zu Urbain um und dann wieder zur Menge. »Unser
erster Redner wird deshalb Dr. Edouard Urbain sein, unser
Chef-Wissenschaftler. Dr. Urbain hat eine eindrucksvolle
Karriere…«
Holly schaute im Tunnel die Übertragung der Veranstaltung
an. Professor Wilmot ist nicht da, sagte sie sich. Ich frage mich,
wieso.
Dann wurde sie sich bewusst, dass dies die Gelegenheit war,
zu Wilmot zu gelangen, ohne von Kananga oder sonst
jemandem daran gehindert zu werden. Holly stand auf. Sie
hatte die Augen noch immer auf dem Bildschirm und sah,
dass fast alle auf der Veranstaltung waren. Ich wette, dass
Wilmot in seinem Quartier ist. Ich könnte mich dort
'reinschleichen und ihm sagen, was hier vorgeht.
Sie schaltete den Wandbildschirm ab und ging zielstrebig
durch den Tunnel in Richtung Athen, wo sich Wilmots
Unterkunft befand.
Nach ein paar Minuten bog sie indes in einen Nebentunnel
ab, durch die Instandhaltungs-Roboter zwischen den Haupt-
Versorgungstunnels wechselten. Es hat keinen Sinn,
schnurstracks aufs Dorf zuzumarschieren, sagte sie sich. Mach
lieber einen Umweg und halte Ausschau nach Wachen, die
vielleicht hier Streife gehen.
Deshalb verfehlte Raoul Tavalera sie, der von Athen
kommend auf der Suche nach ihr durch den
Versorgungstunnel ging.
Urbain und Timoschenko nutzten ihre fünf Minuten, um noch
einmal die Positionen zu bekräftigen, die sie schon im
bisherigen Verlauf des Wahlkampfs vertreten hatten. Urbain
betonte, dass wissenschaftliche Forschung der eigentliche
Zweck des Habitats sei, sein raison d'être, und dass mit ihm als
Leiter des Habitats die Erforschung von Saturn und Titan ein
großer Erfolg werden würde. Timoschenko hatte zum Teil
Eberlys ursprüngliche Position aufgegriffen, dass die
Wissenschaftler keine abgehobene Elite werden dürften, der
alle anderen im Habitat zu dienen hätten. Eberly hatte den
Eindruck, dass Timoschenko stärkeren und längeren Applaus
erhielt als Urbain.
Als Timoschenko sich setzte, stand Eberly auf und ging
langsam zum Podium. Ob Morgenthau Recht hat, fragte er
sich. Ob Urbains Wähler zu Timoschenko wechsein? Ob die
Ingenieure den Schulterschluss mit den Wissenschaftlern
suchen?
Das macht keinen Unterschied, sagte Eberly sich, als er die
Kanten des Podiums packte. Es wird Zeit, einen Keil zwischen
sie zu treiben. Es wird Zeit, die überwältigende Mehrheit der
Stimmen auf mich zu vereinigen.
»Es wird Zeit«, sagte er zum Publikum, »den letzten Redner
vorzustellen. Ich bin in der ungewohnten Situation, mich
selbst vorstellen zu müssen.«
Vereinzeltes Gelächter ertönte in der Menge.
»Also darf ich ohne Übertreibung sagen, dass hier jemand
ist, der nicht mehr vorgestellt werden muss: Ich!«
Das Publikum lachte. Vyborg und ein paar seiner Leute
applaudierten, und der Großteil der Menge schloss sich ihnen
an. Eberly stand am Podium und sog ihre Verehrung förmlich
ein ‒ ob echt oder gespielt spielte für ihn keine Rolle, solange
die Leute da unten so funktionierten, wie er es wollte.
»Dieses Habitat
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