Saturn
Eberly:
»Ja, Miss Lane hat in der Personalabteilung gearbeitet, als ich
sie noch geleitet hatte. Sie machte damals einen ganz normalen
Eindruck, doch wenn sie ihre Medikamente absetzt, wird sie
anscheinend… nun, gewalttätig.«
»Du hast verdammt Recht, dass ich gewalttätig bin«,
kreischte Holly. »Warte nur, bis ich dir die Faust in deine
verlogene Visage schlage!«
Mit einer himmelblauen Bluse und einer Hose bekleidet kam
Cardenas ins Wohnzimmer zurück, wo Gaeta und Tavalera
sich unterhielten.
»Ist ihr Dossier schon von Atlanta gekommen?«, fragte
Cardenas.
Gaeta schüttelte den Kopf. »Deine Botschaft erreicht
wahrscheinlich gerade erst die Erde. Wir sind weit von zu
Hause entfernt, Kris.«
Tavalera erhob sich. »Die Versammlung beginnt in einer
halben Stunde.«
»Setzen Sie sich, Raoul«, sagte Cardenas. »Ich will erst Hollys
Dossier sehen, bevor wir gehen.«
»Dann verpassen wir…«
»Die Kandidaten werden ihr abschließendes Statement
frühestens in einer Stunde machen«, sagte Gaeta. »Wir
verpassen höchstens eine Menge Krach: die
einmarschierenden Bands und den ganzen Kram.«
Tavalera setzte sich wieder aufs Sofa und sagte: »Ich mache
mir Sorgen wegen Holly. Diese Halbaffen von der Sicherheit
können ziemlich grob sein.«
»Wo sie wohl steckt?«, fragte Cardenas sich laut, ging zum
Sofa und setzte sich neben Tavalera.
»Ich wette, ich weiß, wo sie ist«, sagte Gaeta auf dem
Armstuhl, der vom Sofa aus gesehen auf der anderen Seite des
Kaffeetischs stand.
»Und wo?«
»In den Tunnels. Sie hatte früher schon gern die Tunnels
erkundet, die unter dem Habitat verlaufen.«
»Tunnels?«
»Sie müssen eine Länge von hundert Kilometern haben.
Vielleicht noch mehr. Dort unten würden sie sie nie finden.
Und sie kennt jeden Zentimeter; sie hat alles mental
abgespeichert.«
»Und wie sollen wir sie dann finden?«, fragte Cardenas.
»Ich werde sie suchen«, sagte Tavalera und stand auf.
Gaeta packte ihn am Handgelenk. »Raoul, die Tunnels sind
einfach zu lang, um sie alle zu durchsuchen. Du wirst sie nie
finden. Und schon gar nicht, wenn sie nicht gefunden werden
will.«
Tavalera befreite sich aus seinem Griff. »Es ist auf jeden Fall
besser, als hier herumzusitzen und gar nichts zu tun«, sagte er.
»Wenn Sie sie finden«, sagte Cardenas, »dann bringen Sie sie
hierher. Wir werden für ihre Sicherheit sorgen, bis die ganze
Sache sich aufgeklärt hat.«
»Ja, gut.«
Nachdem Tavalera gegangen war, hatten Cardenas und
Gaeta nichts weiter zu tun. Also schauten sie die Nachrichten,
die zeigten, wie die Menge auf dem Versammlungsplatz am
See immer größer wurde. Die Rednertribüne war noch leer,
doch dafür paradierten ein paar kleine Bands durch die
Menschenmenge, um die Leute mit ihrem Sound in Stimmung
zu bringen. Sie stellte fest, dass viele leere Stühle im Gras
verteilt waren.
»Wir werden keine Schwierigkeiten haben, einen Platz zu
finden«, murmelte Cardenas.
Gaeta erhob sich aus dem Armstuhl und setzte sich neben
Cardenas auf das Sofa. Sie schauten sich auf Tuchfühlung das
Video an. Trotz ihrer Verliebtheit sagte Cardenas sich, dass
Gaeta in einer, spätestens in zwei Wochen seine Sachen packen
und sich anschicken würde, das Habitat zu verlassen. Sein
Ionentriebwerks-Schiff war bestimmt schon auf dem Weg
hierher, sagte sie sich. Soll ich mit ihm gehen? Würde er das
überhaupt wollen?
Das Telefon klingelte. Cardenas rief die Botschaft auf den
Monitor auf. Es war das Dossier von Susan Lane aus den
Akten des Hauptquartiers der Neuen Moralität in Atlanta.
»Sie haben die falsche Lane erwischt«, sagte Gaeta.
Doch dann erschien das unverkennbare Konterfei von Holly.
»Sie muss ihren Namen geändert haben«, sagte Cardenas.
»Ist das etwa ein Zeichen für Instabilität?«
Sie lasen das Dossier durch und ließen jedes Wort und jede
Statistik auf sich wirken.
»Geistige und emotionale Probleme werden aber nicht
erwähnt«, sagte Gaeta.
»Auch keine Medikation.«
»Die Hundesöhne haben ihr Dossier gefälscht. Sie wollen sie
verladen.«
Cardenas speicherte die gesamte Datei in ihrem Palmtop ab.
Dann sprang sie auf.
»Wir werden zur Versammlung gehen und Eberly damit
konfrontieren«, sagte sie.
»In Ordnung«, sagte Gaeta.
Als er jedoch die Eingangstür aufschob, standen vier
stämmige Männer und Frauen in den pechschwarzen
Gewändern des Sicherheitsdienstes im Gang. Sie hatten kurze
schwarze Knüppel am Koppelgürtel
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