Saturn
Stuntman sich mit dem
Raumfahrzeug vertraut machte, das ihn vom Habitat zu den
Ringen befördern würde. Manny hatte festgestellt, dass das
Boot sich kaum von den vielen Dutzend anderen unterschied,
die er bereits gesehen hatte: zweckmäßig, spartanisch und auf
Effizienz, nicht auf Komfort ausgelegt. Das Cockpit bestand
aus zwei Sitzen, die in die Flugsteuerungskonsolen
hineinragten. Dahinter gab es einen winzigen
›Aufenthaltsraum‹ mit einer Vakuum-Toilette, die gleich
rechts neben dem Gefrierfach und dem Mikrowellenofen in
die Wand eingelassen war. Das Waschbecken befand sich auch
dort. Zwei Netzschlafsäcke hingen an der gegenüberliegenden
Wand.
Die Ladebucht war mit Druck beaufschlagt. Während
Timoschenko die Systeme des Raumfahrzeugs also zum
letzten Mal ausprüfte, schlüpfte Gaeta durch die Luke und
kontrollierte den Anzug.
Er füllte die Ladebucht fast ganz aus, wobei der Helm das
Oberlicht verdeckte. Gaeta schaute zum Helmvisier hoch.
Manche Leute schauderten, wenn sie den Anzug zum ersten
Mal sahen. Gaeta hatte jedoch immer das Gefühl, als ob er
seinem Zwillingsbruder begegnete. Gemeinsam waren sie viel
mehr als die Summe der einzelnen Teile: der Anzug eine leere
Hülle, der Mensch ein hilfloser Schwächling. Doch zusammen
‒ zusammen haben wir schon großartige Leistungen
vollbracht, nicht wahr? Gaeta hob den Arm und tätschelte den
Oberarm des Anzugs. Er stellte fest, dass ein paar Dellen, die
der Simulationstest in der gepanzerten Brust des Anzugs
hinterlassen hatte, noch nicht ausgebeult worden waren. Er
schüttelte den Kopf und sagte sich, dass er das bei Fritz würde
reklamieren müssen. Er hätte dich besser behandeln müssen,
sagte Gaeta zum Anzug.
»Start in fünf Minuten«, drang Timoschenkos Stimme durch
die offene Cockpitluke. »Du musst dich angurten.«
Gaeta nickte. Mit einem letzten Blick auf den Anzug drehte
er sich um und ging ins Cockpit zurück, um die Reise durch
die Ringe des Saturns anzutreten.
Kris Cardenas versuchte sich in den letzten Stunden vor
Gaetas Start irgendwie zu beschäftigen. Eberly hatte das
Nano-Labor wieder freigegeben; also war sie dorthin
gegangen, wo sie wirkliche Arbeit zu erledigen hatte. Es war
jedenfalls besser, als im Apartment zu hocken und die Tränen
zu unterdrücken wie ein hilfloses Weibchen, das brav zu
Hause wartete, während ihr Mann in die Schlacht zog.
Missbilligend stellte sie fest, dass Tavalera nicht an der
Arbeit war; dann sagte sie sich jedoch, dass er wahrscheinlich
noch nichts wusste von der Öffnung des Labors. Sie versuchte
ihn telefonisch zu erreichen, aber das Kommunikationssystem
vermochte ihn nicht zu finden, und sein Palmtop war
ausgeschaltet.
Das sieht Raoul aber gar nicht ähnlich, sagte sie sich. Er ist
doch sonst so zuverlässig.
Sie spielte mit dem Gedanken, Reparatur-Nanos für Urbains
Titan-Landefahrzeug zu konstruieren; dann legte sie es ad acta
und wandte sich dem Video zu.
»Dies ist das Raumboot«, sagte Zeke Berkowitz mit einer
Stimme auf dem schmalen Grat zwischen überzeugter
Selbstsicherheit und überschwänglicher Begeisterung. »In
genau fünfzehn Sekunden wird es vom Habitat ablegen und
die Reise antreten, die Manuel Gaeta in die Ringe des Saturns
bringt.«
Cardenas sah das Habitat aus der Außenperspektive. Sie
wusste, dass Berkowitz' Sendung an alle Mediennetzwerke auf
der Erde übertragen wurde, und sie hörte, wie die
Computerstimme die letzten Sekunden herunterzählte.
»Drei… zwei… eins… Start.«
Das Raumboot löste sich von der weiten, gewölbten
Oberfläche des Habitats ‒ es wirkte wie ein kantiger
metallener Floh, der von einem Elefanten sprang. Vorm
Hintergrund des irisierenden Glühens des vielfarbigen Saturns
stieg das Raumboot auf, drehte sich langsam und verschwand
dann aus dem Blickfeld.
»Manuel Gaeta ist unterwegs«, verkündete Berkowitz
gewichtig. »Er wird als erster Mensch die mysteriösen und
faszinierenden Saturnringe durchqueren.«
»Auf Wiedersehen, Manny«, flüsterte Cardenas in der
sicheren Überzeugung, ihn nie wieder zu sehen.
Durch die Ringe
Obwohl sie wusste, dass sie in der Reserve-Pipeline völlig
sicher war, verspürte Holly doch zunehmendes Unbehagen.
Vor dem geistigen Auge sah sie, wie irgendein Wartungs-
Ingenieur beiläufig den Hauptwasserfluss des Habitats von
der Primär-Pipeline zur Reserve-Rohrleitung umleitete.
Dieser Routinevorgang würde tödliche Konsequenzen für sie
haben:
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