Saturn
zulassen, dass er unnötige Risiken
eingeht. Er wird in zwei Tagen zurück sein. In zwei Tagen
wird alles vorbei sein, und er ist wieder in Sicherheit.
Ja, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Und dann wird er das
Habitat verlassen, zur Erde zurückfliegen und dich für immer
verlassen.
»Deshalb«, fuhr Professor Wilmot fort, »erkläre ich gemäß den
Gründungsstatuten dieser Gemeinschaft, dass die neue
Verfassung geltendes Recht dieses Habitats wird. Außerdem
erkläre ich, dass Sie, Malcolm Eberly, nachdem Sie in freier
Wahl ordnungsgemäß von der Bevölkerung gewählt wurden,
nun offiziell der neue Verwaltungschef dieses Habitats sind.«
Die paar hundert Leute, die auf den im Gras verteilten
Stühlen saßen, sprangen auf und applaudierten. Die Band
stimmte ›Happy Days Are Here Again‹ an. Wilmot drückte
Eberly schlaff die Hand und nuschelte: »Glückwunsch.«
Eberly hielt sich an den Seiten des Podiums fest und ließ den
Blick über das spärliche Publikum schweifen. Da saß
Morgenthau in der ersten Reihe und musterte ihn wie eine
Lehrerin, die darauf wartete, dass ihr Schüler die Rede vorlas,
die zu schreiben sie ihn genötigt hatte. Kananga und Vyborg
saßen hinter ihr.
Eberly hatte eine Antrittsrede verfasst, die er aus den Worten
Churchills, Kennedys, der beiden Roosevelts und
Shakespeares abgekupfert hatte.
Er schaute auf die Anfangszeilen, die auf dem Monitor des
Podiums abgebildet wurden. Mit einem Kopfschütteln, das für
jeden im Publikum sichtbar war, schaute er dann auf und
sagte: »Nun ist nicht die Zeit für politische Reden. Wir sind
sicher am Ziel angekommen. Mögen jene von uns, die
Gläubige sind, Gott danken. Seien wir alle uns bewusst, dass
morgen die eigentliche Arbeit beginnt. Ich beabsichtige, bei
der Weltregierung eine Petition einzureichen und sie zu bitten,
uns als eigenständige und unabhängige Nation anzuerkennen
‒ genauso wie Selene und Ceres bereits anerkannt wurden.«
Im ersten Moment herrschte erstauntes Schweigen, und dann
sprangen alle auf und applaudierten begeistert. Alle außer
Morgenthau, Kananga und Vyborg.
Start
Raoul Tavalera verfolgte das Einschwenken in den Orbit und
Eberlys Antrittsrede von seinem Apartment aus, ohne die
Übertragung jedoch richtig wahrzunehmen. Er dachte an
Holly. Sie war in Gefahr, und sie brauchte Hilfe. Als er ihr
seine Hilfe angeboten hatte, hatte sie sie jedoch rundweg
abgelehnt.
Die Geschichte meines Lebens, sagte er sich missmutig.
Niemand legt Wert auf mich. Kein Schwein interessiert sich
für mich. Ein Niemand, der bin ich.
Er wunderte sich über den starken Schmerz, den er
verspürte. Holly war nett zu ihm gewesen ‒ mehr als nur nett
‒, seitdem er an Bord des Habitats gekommen war. Er
erinnerte sich an ihre Verabredungen. Das Abendessen im
Bistro und einmal sogar im Restaurant Nemo. Das Picknick
draußen am Habitat-Ende, wo sie mir vom alten Don Diego
erzählt hat. Sie mag mich, sagte er sich. Ich weiß, dass sie mich
mag. Aber wieso will sie mich dann nicht bei sich haben?
Warum nicht?
Er wollte sie wieder anrufen, doch das Kommunikations-
System sagte, ihr Telefon sei abgeschaltet worden.
Abgeschaltet? Wieso das? Dann traf ihn die Erkenntnis. Sie ist
schon wieder auf der Flucht. Sie will sich vor Kananga und
seinen Schergen verstecken. Deshalb hat sie auch das Telefon
deaktiviert, damit man sie nicht aufspüren kann.
Langsam erhob Tavalera sich vom Stuhl, auf dem er fast den
ganzen Tag gesessen hatte. Holly ist in Gefahr, und sie braucht
Hilfe, ob sie das nun einsieht oder nicht. Meine Hilfe. Ich muss
sie finden, ihr helfen und ihr beweisen, dass sie in dieser Lage
nicht allein ist.
Zum ersten Mal in seinem Leben fasste Raoul Tavalera den
Entschluss, dass er handeln musste ‒ ungeachtet aller
Konsequenzen. Es wird Zeit, dass ich jemand werde, sagte er
sich. Ich muss Holly finden, bevor Kanangas Paviane es tun.
Konzentrier dich, sagte Gaeta sich. Vergiss alles außer dem
Auftrag, den du durchführen musst. Vergiss Kris, vergiss
überhaupt alles andere ‒ außer dass du diesen Stunt
durchführen musst.
Er stand an der inneren Luke der Luftschleuse, umgeben von
Fritz, Berkowitz und Timoschenko, der das Raumboot zu den
Ringen fliegen würde. Die anderen Techniker waren hinter
ihm und prüften den Anzug ein letztes Mal aus.
Berkowitz hatte Microcams an den Wänden um die
Luftschleuse installiert, in der Luftschleusenkammer und
sogar am Stirnband, das
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