Saturn
Eine schäumende Wasserwand würde durch die Röhre
auf sie zuschießen, gegen sie anbranden und mit
unwiderstehlicher Wucht mitreißen ‒ sie würde von den
Fluten umhergewirbelt und ertrinken.
Was soll der Blödsinn, rügte sie sich. Du machst dich nur
selbst verrückt wie ein kleines Kind, das sich vor Ungeheuern
unterm Bett fürchtet. Dennoch lauschte sie, während sie durch
die trockene Pipeline kroch, nach dem Rauschen von Wasser
und tastete mit den Fingerspitzen nach der leichtesten
Erschütterung der Röhre. Zumal die Rohrleitung doch nicht so
trocken war: Hier und da sagten feuchte Stellen und sogar
Pfützen ihr, dass vor nicht allzu langer Zeit hier Wasser
durchgeflossen war.
Ursprünglich hatte sie in der Pipeline bleiben wollen, bis sie
am Habitat-Ende eine große U-Kurve beschrieb. Vielleicht
würde sie doch früher aussteigen. Sie verspürte nämlich das
Bedürfnis, wieder aufrecht zu stehen und sich zu recken und
zu strecken. Also rutschte sie weiter durch die Pipeline, wobei
die Angst vorm Ertrinken ständig an ihr nagte.
Der Scout erreichte mit Leichtigkeit die Luke, durch die Holly
in die Pipeline eingestiegen war. Der elektronische Detektor
folgte der Geruchsspur, die sie hinterlassen hatte, ohne
Probleme. Mein braver Bluthund, sagte er sich mit einem
schiefen Lächeln.
Nun musste er eine Entscheidung treffen. Soll ich in die
Rohrleitung gehen und ihr folgen oder draußen bleiben? Er
beschloss, draußen zu bleiben. Er käme schneller voran, wenn
er ging, als wenn er durch die dunkle Rohrleitung kröche. Sie
muss früher oder später herauskommen, und wenn sie das tut,
wird das Spürgerät mir sagen, durch welche Luke sie
ausgestiegen ist.
Aber welche Richtung hat sie eingeschlagen? Er wusste, dass
sie sich von der Ortschaft entfernte und in Richtung des
Habitat-Endes bewegte. Ich werde diesem Vektor folgen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass sie umgekehrt ist und wieder zur
Ortschaft zurückgeht, ist ziemlich gering. Trotzdem rief er
Kananga an. Er schilderte ihm die Situation und riet ihm, ein
paar Leute an den Pipeline-Luken in der Nähe der Ortschaft
zu postieren.
»Ich werde etwas ganz anderes tun«, sagte Kananga mit
einem sardonischen Grinsen. »Ich werde die Instandhaltung
anweisen, den Hauptwasserfluss in diese Rohrleitung
umzuleiten. Dann wird sie herausgespült.«
Tavalera fuhr mit dem Fahrrad auf dem Pfad, der sich durch
die Obstgärten und das Ackerland zog, zum Habitat-Ende. Er
ließ das Rad am Ende des Pfads stehen und folgte dem
Gehweg, der durch den Wald am Ende des Habitats führte. Es
war ein merkwürdiges Gefühl: Er sah, dass er eine leichte
Steigung erklomm und hatte dennoch das Gefühl, bergab zu
gehen; die Gravitation nahm mit jedem Schritt spürbar ab.
Schließlich erreichte er die Stelle im Wald, wo er und Holly
einmal gepicknickt hatten. Ich kann nicht das ganze Habitat
nach dir absuchen, Holly, sagte er sich. Also musst du zu mir
kommen.
Tavalera setzte sich auf den Boden und wartete darauf, dass
sie auftauchte. Das war nach seinem Dafürhalten die beste
Vorgehensweise.
Gaeta verspürte die gleiche Aufregung, die ihn immer befiel,
wenn er im Anzug eingeschlossen war, wenn alle Systeme
eingeschaltet waren und funktionierten. Aber es war nicht nur
Aufregung. Was er verspürte, war ein Gefühl der Macht. Der
Anzug verlieh ihm die Kraft eines Halbgottes. Der Anzug
schützte ihn vor den Gefahren, mit denen das Universum ihn
bedrohte. Er fühlte sich praktisch unverletzlich und
unbesiegbar. Wenn du dich weiter dieser Illusion hingibst,
wirst du am Ende tot sein, ermahnte er sich. Atme tief durch
und mach dich an die Arbeit. Und vergiss nicht, dass es
verdammt gefährlich ist dort draußen.
Trotzdem fühlte er sich wie Superman.
»Wir nähern uns dem Eintrittspunkt«, ertönte Timoschenkos
rauhe Stimme im Helm-Kopfhörer.
Gaeta nickte. »Der Anzug ist geschlossen. Öffne die
Ladeluke.«
»Öffne Luke.«
Gaeta hatte diese Prozedur schon viele Male durchlaufen. Er
verspürte immer einen Nervenkitzel, wenn die Luke aufglitt
und er ins Universum mit der endlosen schwarzen Leere und
den unzähligen leuchtenden Sternen schaute. Diesmal war es
jedoch etwas anderes.
Als die Luke sich öffnete, wurde die Ladebucht mit Licht
geflutet ‒ mit blendendem, gleißendem Licht. Gaeta schaute
auf ein schier endloses, strahlend weißes Feld: so weit das
Auge reichte, war nichts außer glitzerndem, funkelndem Licht.
Es
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