Saturn
dass sie
sein Gesicht erkannte. Das ist doch Raoul, sagte sie sich. Was
tut er hier draußen? Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf.
Arbeitet er etwa für Kananga? Gehört er womöglich zum
Suchtrupp?
Dann wurde sie sich bewusst, dass sie im Freien stand und
eine perfekte Zielscheibe für jeden im Umkreis von einem
Kilometer oder mehr abgab. Raoul würde doch nicht zu
Kananga überlaufen, sagte sich. Er ist ein Freund.
Sie ging zu ihm hin und fühlte sich etwas sicherer, als sie im
Schatten der Bäume war.
Tavalera regte sich, als sie sich ihm näherte, blinzelte und
setzte sich so abrupt auf, dass Holly erschrak.
Er blinzelte wieder und rieb sich die Augen. »Holly? Bist du
das, oder träume ich?«
Sie lächelte warmherzig. »Ich bin's, Raoul. Was machst du
denn so weit hier draußen?«
»Ich habe dich gesucht«, sagte er und stand auf. »Ich muss
wohl eingenickt sein. Ein schöner Späher, was?« Er grinste
verlegen.
»Du bringst dich nur in Schwierigkeiten, Raoul. Kanangas
Leute verfolgen mich. Ich versuche, ihnen immer eine
Nasenlänge voraus zu sein.«
Tavalera holte tief Luft. »Ich weiß. Ich bin hier, um dir zu
helfen.«
Holly sagte sich, wenn Raoul sie gut genug kannte, um hier
am Habitat-Ende auf sie zu warten, dann mussten Kanangas
Leute ihre Gewohnheiten auch ermittelt haben.
»Wir müssen uns ein Versteck suchen«, sagte sie. »Einen
sicheren Ort.«
»Dafür ist es zu spät«, sagte eine Stimme.
Sie drehten sich um und sahen einen großen, schlanken
Mann mit schokoladenbrauner Haut. In der Hand hatte er das
kleine elektronische Spürgerät.
»Oberst Kananga möchte Sie sprechen, Miss Lane«, sagte er
mit leiser Stimme, die überhaupt nicht bedrohlich wirkte.
»Ich möchte aber nicht Oberst Kananga sprechen«, sagte
Holly.
»Das ist schlecht. Ich muss leider darauf bestehen, dass Sie
mit mir kommen.«
Tavalera stellte sich vor Holly. »Lauf, Holly«, sagte er. »Ich
werde ihn aufhalten.«
Der schwarze Mann lächelte. Er wies auf ein Trio schwarz
gekleideter Leute, die hinter den Bäumen auf sie zukamen und
sagte: »Es muss keine Gewalt ausgeübt werden. Und es gibt
auch keine Fluchtmöglichkeit.«
Ring-Kreaturen
Wunderly vermochte kaum an sich zu halten. Sie zappelte auf
dem Stuhl herum, als sie sah, wie die Ring-Partikel über den
neuen Mond schwärmten.
Das ist Nahrung für sie, sagte sie sich, als sie von der
optischen zur Infrarot- und dann zur spektrographischen
Darstellung schaltete. Sie wünschte, der Minisat hätte noch
Platz für Ultraviolett- und Gammastrahlen-Sensoren gehabt.
Was wir brauchten, ist eine Aktivlasersonde, sagte sie sich
und widersprach sich dann sofort: Aber sie würde die Partikel
vielleicht töten. Partikel? Nein, das sind lebendige Wesen. Eis-
Kreaturen, die bei Temperaturen von minus zweihundert
Grad Celsius und noch tiefer überleben. Extremophile, die in
einer Niedertemperatur-Umgebung gedeihen.
Das Geheimnis der Saturn-Ringe ist gelöst, sagte sie sich. Die
Ringe sind nicht eine passive Ansammlung von Eisflocken. Sie
bestehen aus aktiven, lebendigen Wesen! Sie fangen alles ein,
was in ihren Bereich eindringt und nehmen es auseinander.
Asteroiden und kleine Eisbrocken ‒ das ist ihre Nahrung. Auf
diese Art unterhält Saturn sein Ringsystem. Es ist lebendig.
Schau'n wir mal, sagte sie sich. Saturn hat zweiundvierzig
uns bekannte Monde. Jedes Mal, wenn ein Asteroid oder ein
Eisbrocken aus dem Kuiper-Gürtel ins Ringsystem eindringt,
fressen diese Kreaturen ihn auf. Die Ringe verlieren ständig
Partikel, die von den Saturnwolken angesaugt werden. Aber
die Ringe erneuern sich ständig, indem sie die anfliegenden
Monde verschlingen, die von ihnen angezogen werden.
Plötzlich schaute sie von den Bildschirmen auf. Manny! Sie
werden auch versuchen, Mannys Anzug aufzufressen. Sie
könnten ihn töten!
»Manny!«, schrie sie ins Funkgerät. »Verschwinde von dort!
Sofort! Bevor sie sich durch den Anzug fressen!«
»Ich weiß nicht, ob er uns hört«, erwiderte Fritz mit eisiger
Stimme. »Ich habe seit einer halben Stunde keinen Kontakt
mehr mit ihm. Die Antennen müssen inzwischen so stark
vereist sein, dass sie nicht mehr funktionieren.«
Holly sah, wie die drei schwarz gekleideten Gestalten sich
über die mit Gras bewachsene Anhöhe dem Wäldchen
näherten, wo sie und Tavalera mit dem äthiopischen Scout
standen. Er hatte das Funkgerät am Ohr und nickte
unbewusst, während er Befehle
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