Saturn
inhaftiert wird?«
»Deshalb dürfen wir uns mit ihm auch nicht in Verbindung
bringen lassen ‒ erst dann, wenn er Erfolg gehabt hat.«
»Falls er aber scheitert…«
»Falls er Erfolg hat, ist er einen Schritt näher an unserem
Ziel. Falls er aber scheitert, vermögen wir guten Gewissens zu
sagen, dass wir damit nichts zu tun hatten.«
»Angenommen, er schafft es nicht«, sagte Eberly, »und er
wird erwischt und belastet mich?«
»Dann haben Sie saubere Hände und ein reines Herz«, sagte
Morgenthau honigsüß. »Ich bin sicher, dass es Ihnen mit Ihrer
Überredungskunst gelingen wird, Wilmot und der ganzen
Bevölkerung plausibel zu machen, dass man Sie zu Unrecht
beschuldigt hat. Weil es nämlich die Wahrheit ist.«
Eberly ging schweigend weiter, und Morgenthau hielt mit
ihm Schritt. Sie will, dass Vyborg losschlägt. Es würde ihr nicht
einmal etwas ausmachen, wenn er einen Mord beginge.
Wieso?, fragte er sich. Und gab sich auch gleich die Antwort:
weil Vyborg dann durch sie erpressbar wäre. Und ich auch.
Sie toleriert mich als Aushängeschild, weil ich Leute
organisieren und auf unsere Seite ziehen kann. Aber sie ist die
graue Eminenz. Sie hat hier die eigentliche Macht.
Interkonfessionelle Kapelle
Angesichts von zehntausend Seelen im Habitat und nur einer
kleinen Kapelle, in der man Andacht halten konnte, sollte man
meinen, dass dieses Gotteshaus Tag und Nacht überfüllt wäre,
sagte Ruth Morgenthau sich, als sie in der ersten Reihe
niederkniete. Aber nein, es ist leer außer mir.
Kalter Zorn erfüllte sie. Zehntausend Menschen und keiner
liebt Gott genug, um hier zum Gebet niederzuknien. Nur ich.
Ich bin die Einzige hier.
Nicht ganz, sagte eine innere Stimme streng. Gott ist auch
hier. Verneige dich zum Gebet. Bekenne deine Sünden und
bitte deinen Schöpfer um Vergebung.
Also betete Morgenthau.
Sie hatte zu Gott gefunden ‒ oder vielmehr hatte Gott sie
gefunden ‒, als sie eine dürre vierzehnjährige Prostituierte in
den schmutzigen Gassen Nürnbergs gewesen und einem allzu
frühen Tod durch Unterernährung, Krankheit und
Drogenmissbrauch entgegengeeilt war. Die Heiligen Jünger
hatten sie gerettet, ihren Leib geheilt und ihre Seele gereinigt.
Doch der Hunger war geblieben. Sie wurde sich aber
rechtzeitig bewusst, dass der Hunger Teufelswerk war, der
heimtückische, unausweichliche Hunger, durch den sie der
ewigen Verdammnis anheim fallen würde, wenn sie nicht
jeden wachen Moment dem Dienst Gottes widmete. Sie betete
um Erlösung, für die Kraft, dieses ständige, quälende
Bedürfnis zu überwinden. Oft betete sie auch für den Tod,
denn sie glaubte, nur der Tod würde ihrer Seelenqual ein Ende
setzen. Sie versagte sich die Gesellschaft von Frauen und
schlief allein in einer spartanischen Mönchszelle, um der
Versuchung aus dem Weg zu gehen und den quälenden
Hunger zu unterdrücken.
Und dann fand sie einen Ersatz, die lässliche Sünde, die den
verbotenen Hunger sublimierte: Macht. Durch das Arbeiten
mit Männern, indem sie praktisch jeden wachen Moment von
den Männern umgeben war, die sie verabscheute und
fürchtete, lernte sie schließlich ihre Machtspiele zu spielen. Sie
ließ sich bewusst gehen, um körperlich unattraktiv zu wirken.
Aber sie feilte am Verstand und den Instinkten. Sie stieg in der
Hierarchie der Heiligen Jünger auf. Niemand ahnte etwas von
ihrem unterdrückten Verlangen. Männer und Frauen
gleichermaßen respektierten ihre wachsende Macht.
Als man sie schließlich bat, an der Saturn-Mission
teilzunehmen, sagte sie freudig zu.
»Wir haben jemanden ausgewählt, um eine gottesfürchtige
Regierung im Weltraum-Habitat zu organisieren«, sagte ihr
Vorgesetzter, »aber er ist nicht der Zuverlässigsten einer. Er
behauptet zwar, ein Gläubiger zu sein, aber bei seinem
Sündenregister kommen mir doch Zweifel an seinem
Glauben.«
Morgenthau nickte. »Ich verstehe«, sagte sie. Und sie
verstand wirklich. Das war nämlich die Gelegenheit zur
Machtausübung, zur Herrschaft über zehntausend Männer
und Frauen. Eine große Chance. Aber auch eine schreckliche
Versuchung.
Also kniete sie allein in der kleinen Kapelle des Habitats und
betete flehentlich um eine Handreichung. Und um Macht.
Macht war gut, und Macht im Dienste Gottes war ein
absoluter Segen. Sie hielt den Hunger im Zaum. Sie
beschwichtigte die Teufel, die in ihr tobten.
Morgenthau betete um Seelenfrieden, um Demut und um
Verständnis des Weges, den sie
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