Saturn
dieses
Stuntmans ist der Vorbeiflug vergleichsweise zu einer
Bagatelle geworden. Jeder Sender bringt das Video.«
»Ja?«, fragte Morgenthau. »Wieso sind Sie dann hier? Wenn
es um den Flüchtling geht«, sagte sie hochnäsig, »darüber
habe ich schon mit Eberly gesprochen. Er will, dass Holly…«
»Es geht nicht um den Flüchtling«, sagte Vyborg kühl.
Sie musterte ihn eingehend. Sein schmales Totenkopf-
Gesicht wirkte durch den unterdrückten Zorn noch grimmiger
als sonst.
»Worum geht es dann?«
»Eberly hat mir versprochen, mich zum Leiter der
Kommunikations-Abteilung zu machen. Aber er unternimmt
nichts in dieser Richtung.«
»Solche Dinge brauchen Zeit, Sammi«, beschwichtigte
Morgenthau ihn. »Das wissen Sie doch. Sie müssen Geduld
haben.«
»Er hat bisher noch keinen Finger gerührt«, insistierte
Vyborg.
»Geduld, Sammi. Geduld.«
Seltsamerweise lächelte Vyborg. Morgenthau mutete es wie
das Lächeln einer Klapperschlange an, die auf ihr Opfer
zuglitt.
»Ich habe einmal einen Zeichentrickfilm gesehen«, sagte er,
»wo zwei Geier im Geäst eines Baums saßen. ›Nur Geduld, du
Arsch, ich werde jemanden killen ‹ , sagte der eine zum andern.«
Morgenthau spürte, wie sie bei Vyborgs rüder Diktion rote
Wangen bekam. »Und wen würden Sie gern killen?«
»Natürlich die beiden Leute, die zwischen mir und der
Leitung der Kommunikationsabteilung stehen.«
»Ich würde davon abraten…«
»Keiner von beiden ist ein Gläubiger. Der Abteilungsleiter ist
ein Jude ‒ nicht dass er die Gebote seiner Religion befolgen
würde. Der andere ist ein alter Knacker von einem Mexikaner,
der mehr Zeit mit Gärtnern als im Büro verbringt. Ihn
loszuwerden dürfte kein Problem sein.«
»Sie dürfen aber nichts unternehmen, ohne zuvor Eberlys
Genehmigung einzuholen.«
»Spielen Sie keine Spielchen mit mir. Wir beide wissen doch,
dass Eberly nichts anderes als eine Schießbudenfigur ist. Sie
sind hier die eigentliche Autorität.«
»Unterschätzen Sie Eberly nicht. Er vermag gut mit
Menschen umzugehen. Er ist ein charismatischer Charakter.
Ich will nicht, dass Sie überstürzt handeln.«
»Ja, ja. Aber ich glaube an den alten Spruch ›hilf dir selbst,
dann hilft dir Gott‹. Ich habe das Warten satt. Es wird Zeit, zur
Tat zu schreiten.«
Morgenthau schürzte missbilligend die Lippen. Aber sie
sagte nichts.
Holly duschte, frisierte sich und kleidete sich an. Und bevor
sie das Apartment verließ, rief sie noch Morgenthau an.
»Dr. Eberly möchte, dass ich den Neuankömmling befrage«,
sagte sie zur Projektion Morgenthaus. »Ich habe mich in der
Medizinischen Abteilung erkundigt; die Quarantäne wird
heute Morgen aufgehoben. Ich werde also gleich dorthin
gehen und nicht erst ins Büro.«
Holly formulierte den Satz wie eine Absichtserklärung ‒
weder als Frage noch als Bitte um Erlaubnis. Eberlys Name an
sich war schon die Genehmigung.
Morgenthau schien das genauso zu sehen. »Eberly hat mich
vorhin schon angerufen und mir Bescheid gesagt. Ich danke
Ihnen trotzdem, dass Sie mich informiert haben, Holly. Ich
sehe Sie im Büro, wenn Sie vom Krankenhaus
zurückkommen.«
Raoul Tavalera saß im winzigen Solarium des Hospitals, unter
einer Glaskuppel auf dem Dach des Gebäudes. Obwohl es
schon Vormittag war und Licht durch die Sonnenfenster des
Habitats strömte, kam Holly es so vor, als ob es ein etwas
trüber Tag sei. Das Sonnenlicht wirkte schwach, als ob es
durch eine dünne Wolkenschicht gefiltert würde. Wir sind
fünfmal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, sagte sie
sich. Natürlich ist das Sonnenlicht schwächer.
Tavalera war mit einem schlecht sitzenden grauen Overall
bekleidet. Sein Pferdegesicht hatte einen verdrießlichen,
beinahe depressiven Ausdruck. Er stand nicht vom Stuhl auf,
als Holly ihm gegenübertrat und sich vorstellte. Sie trug eine
maßgeschneiderte rosefarbene Bluse über einer grauen Hose ‒
Bürokleidung.
»Ich bin von der Abteilung Human Resources«, sagte Holly,
nachdem sie sich einen Stuhl herangezogen und neben
Tavalera gesetzt hatte. Er traf keine Anstalten, ihr zu helfen.
Sie rang sich ein Lächeln für ihn ab und eröffnete ihm: »Ich bin
hier, um mir Ihre komplette Lebensgeschichte anzuhören.«
Er erwiderte das Lächeln nicht. »Ist das wahr? Soll ich für ein
verdammtes Jahr oder noch länger hier festsitzen?«
»Ja, sofern niemand ein Schiff schickt, um Sie abzuholen,
werden Sie uns leider auf dem
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