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Saturn

Saturn

Titel: Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova
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Beton,
    keinerlei Anzeichen eines Kampfes.
    Niemand wird es je erfahren.
    323 Tage bis zur Ankunft
    Holly entdeckte die Leiche. Sie hatte Cardenas im Bistro
    zurückgelassen und war zum Kanal gegangen, wo Don Diego
    gearbeitet hatte. Zuerst sah sie keine Spur von ihm. Dann
    erspähte sie seinen Körper am unteren Rand der Böschung,
    halb im Wasser.
    Sie schrie nicht. Sie weinte nicht einmal, als sie sich Stunden
    später in der Abgeschiedenheit ihrer Unterkunft befand ‒
    lange nachdem sie die Leiche des alten Manns aus dem Kanal
    gezogen und das medizinische Notfall-Team ihn für tot erklärt
    hatte.
    Sie träumte in dieser Nacht von dem Vater, an den sie sich
    nicht zu erinnern vermochte. Manchmal erschien er ihr im
    Traum als Don Diego; manchmal war er eine schemenhafte
    gesichtslose männliche Gestalt, groß und fast schon
    bedrohlich. Einmal drehte der Mann ohne Gesicht ihr den
    Rücken zu, und sie war wieder ein kleines Kind, das gerade
    erst laufen lernte. Pancho war im Traum auch irgendwie
    präsent, doch am meisten wünschte Holly sich, dass ihr Vater
    sich umdrehte, damit sie sein Gesicht zu sehen vermochte. Sie
    wollte ihn rufen, doch kein Laut entrang sich der Kehle. Sie
    streckte die Hand nach dem Mann aus, und als er sich
    schließlich doch zu ihr umdrehte, sah sie Malcolm Eberly mit
    kaltem Blick auf sie herunterschauen.
    Holly schreckte aus dem Schlaf und setzte sich im Bett auf;
    der verstörende Traum löste sich langsam auf wie eine Wolke
    an einem Sommertag. Sie duschte und kleidete sich schnell an,
    ließ das Frühstück ausfallen und ging direkt zum kleinen
    Krankenhaus des Habitats. Sie wollte mit dem Arzt sprechen,
    der Don Diegos Leiche untersucht hatte. Sie wusste, dass sie
    eigentlich Morgenthau anrufen und ihr sagen sollte, dass sie
    später zur Arbeit käme, aber die Mühe machte sie sich nicht.
    Im Krankenhaus war es still. Es herrschte eine ruhige,
    gelassene Atmosphäre. Die Belegschaft des Habitats war im
    Großen und Ganzen in einer guten körperlichen Verfassung
    und machte trotz des kalendarischen Alters einen
    jugendlichen Eindruck. Die größten medizinischen Probleme
    waren Unfälle und psychische Erkrankungen. Und der
    plötzliche Tod eines achtundneunzigjährigen Mannes, sagte
    Holly sich.
    Dr. Yaňez' gewohnheitsmäßiges fröhliches Lächeln
    verschwand, als Holly ihn nach der Ursache von Don Diegos
    Tod befragte.
    »Sehr bedauerlich«, sagte er. »Sehr traurig. Er war ein
    wunderbarer Mensch. Wir hatten viele lange Gespräche
    miteinander geführt.«
    Er fasste Holly sanft am Ellbogen und führte sie zur Tür, die
    zum Garten im Innenhof des Krankenhauses führte.
    »Ich will Sie aber nicht von der Arbeit abhalten«, sagte Holly.
    »Es gibt heute nicht viel zu tun«, sagte er. »Unsere Leute sind
    geradezu widerlich gesund.«
    Er führte Holly aus dem zweistöckigen
    Krankenhausgebäude hinaus und um den sorgfältig
    angelegten Blumengarten im Innenhof herum. Holly sagte
    sich, dass Don Diego dem Garten eine wildere,
    ursprünglichere Anmutung verliehen hätte.
    Yaňez schob die Hände in die Taschen des weißen Kittels
    und sagte: »Don Diegos Tod gibt mir irgendwie Rätsel auf. Er
    muss gestolpert und ins Wasser gefallen und ertrunken sein.«
    »Wieso ist er einfach nicht wieder aufgestanden?«, fragte
    Holly.
    Er zuckte die Achseln. »Vielleicht ist er mit dem Kopf
    aufgeschlagen. Er ist vielleicht ohnmächtig geworden ‒ zu
    niedriger Blutdruck oder ein leichter Schlaganfall. Er war
    immerhin schon hoch betagt.«
    »Gab es Anzeichen eines Schlaganfalls?«
    »Nein, aber ein leichter Schlaganfall hinterlässt auch keine
    Spuren, die auf den ersten Blick sichtbar wären. Wir müssen
    gezielt danach suchen, und selbst dann würden wir vielleicht
    nichts finden. Wir sind hier schließlich nicht in New York oder
    Tokio, müssen Sie wissen. Wir haben keine entsprechend
    qualifizierten Pathologen.«
    »Ich verstehe.«
    »Es ist eine große Tragödie. Ein großer Verlust.«
    »Sie sind sich aber sicher, dass es ein Unfall war?«, fragte
    Holly.
    Yaňez wirkte im ersten Moment erschrocken. »Ja. Natürlich.
    Was sollte es sonst sein?«
    »Ich weiß nicht.«
    Der Arzt schaute zu Holly auf. »Er war mein Freund. Wenn
    Fremdeinwirkungen als Todesursache vorgelegen hätten,
    dann wäre ich darauf gestoßen, das versichere ich Ihnen. Es
    war ein Unfall. Unglücklich und bedauerlich. Aber eben nur
    ein Unfall, nicht mehr.«
    Je mehr der Doktor dies beteuerte, desto stärker

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