Saturn
Wenn Sie es Ihrer Chefin sagen, wird
man mir nicht erlauben, hier Nanotech-Arbeiten
durchzuführen.«
»Wieso denn nicht?«
»Weil ich Beihilfe zum Mord geleistet habe«, sagte Cardenas
unverblümt.
Holly spürte, wie ihr die Kinnlade herunterklappte.
»Ich habe es zwar nicht vorsätzlich getan«, erklärte
Cardenas. »Aber es war trotzdem schlimm genug.«
Als ob ein emotionaler Damm gebrochen wäre, erzählte
Cardenas Holly die ganze Geschichte. Dass sie wegen der
Nanobots, die sich in ihrem Körper tummelten, nach Selene
verbannt worden war und nicht mehr zur Erde zurückkehren
durfte. Dass ihr Mann sich geweigert hatte, sie auf dem Mond
zu besuchen, dass ihre Kinder sich gegen sie gewandt hatten
und dass sie ihre Enkelkinder nie gesehen hatte. Die Wut. Die
Schmerzen und Tränen und der heiße Zorn auf die Narren
und selbstzufriedenen Ignoranten, die die Angst der
Menschen vor der Nanotechnik instrumentalisierten, um ihr
Leben zu zerstören.
Sie erzählte Holly von Martin Humphries' Angebot. »Er
sagte, er brächte mich zur Erde zurück, wenn ich ihm dabei
helfen würde, das Raumschiff eines Konkurrenten zu
sabotieren. Er war, weiß Gott, reich genug, um alles zu kaufen.
Ich glaubte, er würde mir helfen. Ich hatte keine Ahnung, dass
die Beschädigung eines Raumschiffs den Tod eines Menschen
zur Folge haben sollte. Also ließ ich mich von Humphries
kaufen, und sein größter Konkurrent starb, als das Raumschiff
eine Panne hatte.«
»Dann sind Sie also niemals wieder zur Erde zurückgekehrt?
Haben Ihre Familie nie wieder gesehen?«, fragte Holly mit
leiser Stimme.
»Nie«, sagte Cardenas. »Als ich hörte, dass Dan Randolph
wegen meiner Komplizenschaft gestorben war, habe ich
gegenüber der Regierung von Selene ausgepackt. Ich habe
sogar versucht, Selbstmord zu begehen, aber das hat nicht
geklappt. Zur Strafe wurde ich aus Selenes Nanotech-Labor
ausgeschlossen. Also ging ich nach Ceres, einem Vorposten im
All, und arbeitete jahrelang mit den Felsenratten. Keine
Nanotech-Arbeit. Ich schwor, nie wieder Nanotech-Forschung
zu betreiben.«
»Aber nun wollen Sie wieder damit anfangen. Und zwar
hier.«
Cardenas nickte. Sie wahrte zwar die Contenance, machte
aber ein Gesicht, als ob sie von der Last der ganzen Welt
niedergedrückt würde. »Ich habe beschlossen, dass ich nun
genug gebüßt habe. Ich kann euch hier eine Hilfe sein. Ich will
noch mal ein neues Leben beginnen.«
»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, murmelte Holly.
»Wir beide sind Seelenverwandte.«
»Gut möglich.«
Cardenas musterte sie mit diesen strahlend blauen Augen.
»Was werden Sie Ihrer Vorgesetzten also sagen?«
Hollys Entschluss stand bereits fest. »Nichts«, sagte sie. »Ich
werde ihr nur sagen, dass Sie aus freien Stücken nach Ceres
gegangen seien, um mit den Felsenratten zu arbeiten. Das ist
schließlich nicht einmal gelogen, nicht wahr?«
Zum ersten Mal lächelte Cardenas. »Nein, das ist nicht
gelogen. Es ist zwar auch nicht die Wahrheit ‒ zumindest nicht
die ganze Wahrheit. Aber es ist auch keine Lüge.«
Lächelnd ging Kananga auf Don Diego zu und blieb auf
Armlänge entfernt vor ihm stehen. »Nein, ich bin nicht von
der Instandhaltungsabteilung«, wiederholte er. »Ich habe vor,
die Instandhaltungsabteilung von meiner Arbeit hier zu
informieren«, sagte Don Diego, »aber ich habe noch nicht…«
Mit der Schnelligkeit eines springenden Leoparden schlug
Kananga dem alten Mann voll auf den Solarplexus. Don Diego
brach ohne einen Laut zusammen.
Kananga fing den alten Mann auf und hob ihn mühelos
hoch. Keine Schleifspuren, sagte er sich. Keine Spuren am
Tatort hinterlassen.
Er trug den keuchenden und benommenen Don Diego die
Böschung hinab zum Betonbett des Kanals. Der alte Mann
hustete und stöhnte; er schlenkerte schwach mit den Beinen
und schlug mit flatternden Lidern die Augen auf.
Kananga kniete sich hin und drückte sein Gesicht in den
Kanal. Dabei drückte er vorsichtig, fast zärtlich gegen den
Hinterkopf, um ihn unter Wasser zu halten. Don Diego stieß
noch ein paar Luftblasen aus, zappelte schwach und
erschlaffte dann. Das aufgewühlte Wasser floss wieder ruhig
dahin. Kananga hielt Don Diego weiter unter Wasser gedrückt
und zählte langsam bis hundert. Dann ließ er ihn los.
Zufrieden mit der grausigen Verrichtung stand Kananga auf.
Nicht schlecht, sagte er sich und schaute sich um. Keine
Furchen im Erdboden, keine Schleif spuren auf dem
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