Saturn
›Planetenwissenschaft‹ saß
angespannt hinterm Schreibtisch, als sei er eine Barrikade
gegen anstürmende Revolutionäre. Und dabei wollte
Wunderly doch nur ein wenig Hilfe.
»Das Hauptteleskop ist komplett für die Beobachtung des
Titan reserviert«, fuhr Urbain fort, als verkündete er ein
Todesurteil. »Dies ist eine Gelegenheit, die wir unbedingt
nutzen müssen.«
»Aber die Ringe sind doch…«
»Zweitrangig«, sagte Urbain.
»Ich wollte eigentlich ›einzigartig‹ sagen«, ergänzte
Wunderly ihren Satz.
»Das gilt auch für die Lebensformen auf Titan.«
Sie fragte sich, wie sie ihn wohl überzeugen könnte. »Ich
brauchte gar nicht viel Zeit am Teleskop. Nur eine Stunde
oder so täglich, um…«
»Eine Stunde?« Urbain wirkte geschockt; ihm sträubten sich
schier die sorgfältig gestutzten, dunklen Barthaare.
»Unmöglich.«
»Aber wir sollten die Zeit während des Anflugs auf den
Planeten nutzen, um Langzeit-Studien zur Ringdynamik
durchzuführen. Es wäre ein sträfliches Versäumnis, das nicht
zu tun.«
Urbain strich sich nervös übers pomadig zurückgekämmte
Haar und sagte: »Dr. Wunderly, dieses Habitat wird für viele
Jahre im Orbit um den Saturn stehen. Im Grunde für immer.
Sie werden noch reichlich Gelegenheit haben, die Dynamik
Ihrer Ringe zu studieren.«
Er sprach diese letzten Worte fast spöttisch aus. Wunderly
wusste, dass die anderen Wissenschaftler sie hinter ihrem
Rücken als ›Herrin der Ringe‹ bezeichneten.
Sie zog die Trumpfkarte. »Ich dachte, wenn wir die Ringe
während des mehrmonatigen Anflugs studieren und eine
synoptische Studie erstellen ‒ eine gründliche ‒, könnten wir
die Ergebnisse veröffentlichen, bevor wir in eine Umlaufbahn
um den Saturn gehen und bevor die Universitäts-Teams
herkommen, um unsere Forschungsarbeit zu übernehmen.
Wobei Sie natürlich namentlich als Forschungsleiter erwähnt
würden.«
Doch anstatt nach dem Köder zu schnappen, den sie ihm
hinhielt, versteifte Urbain sich nur noch mehr bei der
Erwähnung der Universitäts-Teams, die ihn überflüssig
machen würden.
»Jede Ressource, die mir zur Verfügung steht«, sagte er
sichtlich zitternd, mit aschfahlem Gesicht und mit leiser, harter
Stimme, »wird für das Studium des Titan verwendet. Alle
Mitarbeiter meines Stabs machen Überstunden und arbeiten
Tag und Nacht, um die Rover fertig zu stellen, die wir auf die
Oberfläche hinunterschicken werden. Dieser Mond trägt
Leben! Einzigartige Lebensformen. Sie sind die einzige
Mitarbeiterin meines Stabs, die nicht an Titan arbeitet ‒ Sie
und Ihre wertvollen Ringe! Sie dürfen sie in Ruhe studieren.
Geben Sie sich damit zufrieden und behelligen Sie mich nie
wieder mit Forderungen, die ich nicht erfüllen kann.«
Wunderly war sich der kaum verhohlenen Drohung
bewusst. Ich soll ihn in Ruhe lassen, oder er vergattert mich
zur Arbeit an Titan wie alle anderen.
Sie stand schwerfällig auf. Sie fühlte sich besiegt, leer und
hilflos. Und zornig. Der Mann ist vollkommen auf den
übermächtigen Titan fixiert, grämte sie sich, als sie Urbains
Büro verließ. Er ist so engstirnig, dass er mit beiden Augen
durch ein Schlüsselloch gucken könnte.
Exakt um 17:00 Uhr klopfte Gaeta einmal an den Rahmen von
Hollys offener Tür und betrat ihr Büro.
»Schluss für heute«, verkündete er. »Komm mit, ich will dir
etwas zeigen.«
Trotz des inneren Aufruhrs lachte Holly und sagte dem
Computer, dass sie Feierabend machte. Die holografische
Abbildung blinkte einmal und erlosch.
»Worum geht's denn?«, fragte Holly, während sie sich von
ihm aus dem Gebäude führen ließ.
»Ich sagte mir, du würdest vielleicht gern mal einen Blick auf
unseren Bestimmungsort werfen«, sagte Gaeta.
»Saturn?«
»Ja. Man erkennt ihn mittlerweile mit dem bloßen Auge als
Scheibe.«
»Wirklich?«
Er lachte. »Dachte ich's mir doch. Du hast ihn noch nicht
gesehen, stimmt's?«
»Seit einiger Zeit schon nicht mehr«, sagte Holly.
Er hatte schon zwei Elektrofahrräder vor dem Gebäude
bereitgestellt. Holly folgte ihm, und sie fuhren den
verschlungenen Pfad durch den Park entlang, durch den
Obstgarten und das Ackerland in Richtung des Endstücks. Sie
stellten die Fahrräder im Ständer am Ende des Weges ab und
beschritten dann einen schmalen Fußweg, der zwischen
blühenden Büschen und ein paar Bäumen aufwärts führte.
»Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen«, murmelte
Gaeta.
»Woran?«
»An die
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