Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
kennen, auch wenn bis jetzt noch nichts Rechtes darunter gewesen war. Aber ihr kleines Mädchen machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie verstanden sich zwar einigermaßen, Rubina fand auch Gefallen an hübschen Kleidchen und Barbiepuppen, aber am Freitagabend flog sie dem Papa jeweils nur so entgegen, während sie am Sonntag still und widerstrebend zurückkehrte. Oft war Janine im Geheimen wütend auf dieses kratzbürstige kleine Ding. Sie war doch die Mutter, hatte sie nicht ein Recht darauf, von ihrer Tochter geliebt zu werden?
Aber damit hätte sie leben können. Wenn es auch Risse und bröcklige Stellen gab, so machte ihr Leben im Ganzen doch etwas her. Von ihr aus hätte es so bleiben können. Es war noch nicht lange her, als ihr bewusst wurde, wie fragil die ganze Konstruktion war, wie sehr sie davon abhing, ob Mario mitmachte. Sie hatte ihn mit einer Frau gesehen. Nur kurz. Von hinten. Die beiden waren in einem Haus verschwunden. Aber Mario kannte sie auch von hinten und die Bewegung, mit der er seinen Arm um die Frau gelegt hatte, hatte keinen Zweifel offengelassen. Die Frau hatte kurzes dunkles Haar gehabt, sie war etwas kleiner als er. Janine war ins Grübeln gekommen. Damit hätte sie vielleicht rechnen müssen, dass er sich wieder verliebte, aber sie hatte diesen Gedanken immer ausgeblendet. Es konnte ihr eigentlich egal sein, aber was war, wenn er wieder heiraten sollte, wenn er weitere Kinder hatte? Sicher, er verdiente gut, vielleicht würde er nach Esther Jennys Pensionierung ihr Nachfolger, aber endlos würde auch dieser Lohn nicht reichen. Ich muss uns schützen, hatte sie gedacht, Rubina und mich. Der Gedanke hatte sie gestreift, dass es vor allem um sie ging, dass Rubinas Unterhalt wohl kaum gefährdet war, aber sie hatte ihn rasch weggeschoben. Ich muss uns schützen, uns schützen, hatte sie innerlich wiederholt. Jetzt war diese Frau tot. Aber das nützte ihr nichts mehr. Mario war auch tot. Und ihr Kind strebte weg von ihr. Ihr Leben lief aus dem Ruder. So war das vor zehn Jahren nicht geplant gewesen.
Montag
Lina saß am Schreibtisch, unschlüssig, was sie tun wollte. Die morgendliche Ratssitzung war kürzer ausgefallen als gewöhnlich und Carlo und sie teilten sich das Redigieren. Sie war also nicht in Eile mit dem Protokoll, aber sie hatte einfach keine Lust zu arbeiten. Sie fühlte sich müde, obwohl sie sich am Wochenende ausgeruht hatte. Zürich hatte sie wieder in sich hineingesogen, so kam es ihr vor. Wieder war sie in diesem Gespinst von schrecklichen Ereignissen; auf dem Weg vom Paradeplatz zum Limmatquai klopfte ihr Herz, auch tagsüber. Ein wenig bereute sie es, dass sie Hannes’ Angebot ausgeschlagen hatte. Wie angenehm wäre es, jetzt in Bern zu sein, entweder in seiner Wohnung mit einem Buch oder unterwegs in der Altstadt unter den Arkaden, in Bern Lauben genannt, die die ganze Altstadt hinaufführten. Gegen Abend würde sie ein Schaumbad nehmen und dann mit Hannes in die nahe gelegene Pizzeria essen gehen. Wobei – wer weiß, vielleicht wäre es Hannes dann auch schon wieder zu viel, dass sie da war. Es war doch besser, dass sie zurückgekehrt war. Raffaela war immer noch krank. Carlo war da, aber er hatte sich in sein verbissenes Schweigen zurückgezogen, das nur ab und zu von einem unterdrückten Fluch unterbrochen wurde. Zweifellos ärgerte er sich wieder maßlos über verunglückte Satzkonstruktionen.
Um irgendetwas zu tun, begann Lina, ihren Schreibtisch zu ordnen. Sie räumte die Schubladen aus und schaute den ganzen Papierkram, der sich angesammelt hatte, durch, sortierte, bündelte den Wust und warf einiges weg, eine Karte fiel ihr in die Hände, schon fast ein Jahr alt: Sehr geehrte Frau Kováts, vielen Dank für Ihre ausgezeichnete Arbeit. Moment, diese Schrift hatte sie doch vor Kurzem gesehen. Das war doch – nervös durchsuchte sie eine andere Schublade. Streiff hatte ihr eine Kopie des handschriftlichen Zettels gegeben, der bei den 7000 Franken gelegen hatte. Hier, da war er. Lina legte die beiden Schriftstücke nebeneinander und verglich sie. Kein Wunder, war ihr die Schrift bekannt vorgekommen. Ja, das war dieselbe Schrift. Und die Karte an sie war unterschrieben. Allerdings war es kein Name, der mit P begann. Ihr Herz klopfte heftig. Sie wählte Streiffs Handynummer.
Streiff klatschte die beiden Blätter vor dem Mann auf den Tisch. »Können Sie mir das erklären? Das ist Ihre Schrift, das haben beides Sie geschrieben.«
Der große, massige
Weitere Kostenlose Bücher