Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
an. Aber vielleicht gewöhnt man sich ja daran.
Als wir einen Baum umrunden, trete ich auf eine Glasscherbe und kann mir mit Mühe und Not einen Schmerzensschrei verkneifen. Ich erzähle auch keinem davon – ich will schließlich nicht als Weichei dastehen. Wir kommen zu unserem Ausgangspunkt zurück und machen eine kleine Pause, um wieder zu Atem zu kommen.
»Wie viel läufst du so am Tag?«, fragt Vlad Erwan.
»Ich halte nicht viel von Tabellen und Pulswerten und so was. Ich mach, was mein Instinkt mir sagt. Kann sein, dass ich an einem Tag gerade mal fünf Minuten laufe und am nächsten drei Stunden am Stück. Ganz natürlich und ursprünglich, verstehst du?«
Für die nächste Übung wird’s noch etwas ursprünglicher: Wir lassen uns auf alle viere nieder und turnen einen zwölf Meter langen Baumstamm entlang, der in der Nähe herumliegt. Der Grundgedanke dabei: Wir sollen wieder lernen, uns mit katzenhafter Geschmeidigkeit zu bewegen, wie ein Tiger auf der Jagd nach Beute.
»Ihr sollt den Stamm entlanggleiten, als würdet ihr darauf schwimmen«, sagt Erwan. »Eure Muskeln sind dabei ganz locker.«
Erwan springt auf den Stamm und tigert in perfekter Haltung davon.
Dann sind wir dran. Es ist gar nicht so einfach. Ständig rutschen meine Füße ab, und meine Schultermuskeln schmerzen vor Anspannung. Ich versuche, den Stamm tigermäßig entlangzugleiten, hangele mich aber eher wie ein Affe vorwärts.
Nach Ende der Baumstammübung spendiert Erwan uns wieder ein paar aufmunternde Worte. »Yoga bringt Körper und Geist in Einklang, heißt es immer«, sagt er und ahmt dabei den typischen California-Surferproll-Sound nach, auch wenn das aus seinem Mund eher so klingt wie ein kalifornischer Surferproll aus der Provence. »Meinetwegen. Aber das reicht nicht. Was wir brauchen, ist der Einklang von Körper, Geist und Natur .«
In dem Augenblick kommt einer von den Fernsehleuten zu uns. Er will John und Erwan dabei filmen, wie sie im Einklang mit der Natur einen Baum hochklettern. Vlad, Rahsaan und ich haben in der Zeit Pause und unterhalten uns ein bisschen.
»Wie hoch ist dein Körperfettanteil?«, fragt Vlad. »Ich schätze mal: 18 Prozent.«
Ich antworte ihm, ich hätte meinen Körperfettanteil schon ein Weilchen nicht mehr gemessen.
»Du hast jede Menge intramuskuläres Fett. Du weißt schon, das Fett zwischen den Muskelsträngen. Wenn du eine Kuh wärst, könnte ich ganz schön viel Talg aus dir herausholen.«
»Aha.«
Eigentlich müsste ich jetzt langsam sauer werden. Keine halbe Stunde ist vergangen, und Vlad hat meinen Körper zwei Mal beleidigt. Doch seine Unkenntnis jeglicher Umgangsformen hat auch etwas Entwaffnendes, fast Charmantes an sich. Im Grunde ist er wie mein fünfjähriger Sohn.
Wie häufig in Paläo-Kreisen wendet sich das Gespräch Ernährungsfragen zu. Vlad preist die Tugenden von rohem Weiderindfleisch.
»Ich habe eine super Bezugsquelle für rohes Rinderhirn aufgetan«, sagt er.
Rahsaan ist interessiert. »Mailst du mir die Info?«
»Wirst du denn von dem rohen Zeug nicht krank?«, fragt jemand aus der deutschen Fernsehcrew.
»Bis jetzt noch nicht. Hab noch nie Würmer gehabt. Und überhaupt: In Frankreich werden Parasiten sogar manchmal als Medizin eingesetzt. Wir können also durchaus in einer symbiotischen Beziehung mit ihnen leben.«
Letzten Sommer, fügt Vlad hinzu, hat er einmal einen Haufen Insekten zu Brei vermengt und gegessen. »Jede Menge Proteine«, sagt er.
Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, hat Vlad für Veganer nichts übrig. Im Laufe der Jahre war er trotzdem immer mal wieder mit einer Veganerin zusammen. »Eine hab ich gleich beim ersten Date zum Paläotum bekehrt. Hat aber trotzdem nicht funktioniert.«
Der Frauenmangel innerhalb der Steinzeit-Bewegung ist traditionell ein Frustfaktor. Vlad erzählt, wie er einmal eine Frau zu sich nach Hause einlud, die aber gleich wieder ging, weil sie sein Badezimmer so dreckig fand.
Zum ersten Mal verspüre ich Vlad gegenüber so etwas wie Mitleid. Ich würde ihm gerne sagen, dass er womöglich leichter eine Freundin fände, wenn er sein persönliches Credo, auf industrielle Hygieneprodukte zu verzichten, nicht ganz so sklavisch befolgte. Er weigert sich nämlich, Zahnpasta und Deodorant zu benutzen. »Immerhin säubere ich meine Zahnzwischenräume, weil man das bei Schimpansen auch schon beobachtet hat.«
Jemand schlägt vor, als Nächstes Felsbrocken zu heben, aber wir finden keine in der richtigen Größe.
Weitere Kostenlose Bücher