Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
links (bescheuert!). Alternativroute vom Supermarkt zurück nach Hause (megabescheuert!). Nachtisch vor der Vorspeise (kann mich bitte jemand in die Geschlossene einliefern). Halt, stopp, ganz so abschätzig meine ich das nicht. Diese ganzen Übungen haben auch eine wirklich wunderbare Seite: Sie zwingen einen zu mehr Achtsamkeit.
Eine jüdische Tradition hält die Gläubigen dazu an, am Sabbat alles anders zu machen als unter der Woche. Eine orthodoxe Jüdin erzählte mir einmal, sie nehme dieses Gebot so genau beim Wort, dass sie am Sabbat sogar den Lippenstift andersherum auftrage: gegen den Uhrzeigersinn, anstatt wie sonst im Uhrzeigersinn. Und durch diese winzige Veränderung wird ihr bewusst, so erklärte sie mir, wie genussvoll das Ritual des Lippenstiftauftragens sein kann.
Doch ein bisschen langweilige Routine darf nicht fehlen, schon allein als Ausgleich. Non-Stop-Achtsamkeit ist nämlich auf Dauer ziemlich anstrengend. Und es kommt noch eine zweite Gefahr hinzu. Als Julie von meinem Vorsatz Wind bekam, ganz bewusst neue Dinge auszuprobieren, nutzte sie das sofort skrupellos aus. Sie verkündete: »Wir gehen ins Momofuku« – ein angesagtes Restaurant, auf das ich bisher partout keine Lust hatte. »Da ist es laut, ich weiß. Aber du warst noch nie dort. Also musst du es einfach mal ausprobieren. Für dein Gehirn.«
Das Gehirn auf dem Prüfstand
Ein weiteres Mal hole ich mir professionellen Beistand. Das Brain Resource Center in der Upper Eastside verspricht seinen Kunden, »dem Gehirn zu Topleistungen zu verhelfen«.
An einem Donnertagmorgen habe ich einen Termin bei Dr. Kamran Fallahpour, einem 48-jährigen Neurowissenschaftler. Er stammt aus dem Iran und spricht mit kaum hörbarem Akzent.
Zunächst wird er, so erklärt er mir, mein Hirn evaluieren. Mal einen Blick unter die Motorhaube werfen.
Wenige Minuten später sitze ich in einem nüchtern möblierten, ganz in Weiß gehaltenen Raum und habe jede Menge Zeug auf dem Kopf. Klacksweise Haargel von honigartiger Konsistenz. Eine gummiartige Haube, die stark an die Pilotenkappen der Pioniere der Luftfahrt erinnert und aus der Dutzende Elektrodenkabel herausragen. Das Ganze gekrönt von einem weißen Haarnetz.
Mit dieser Ausrüstung sollen meine Gehirnströme und Augenbewegungen gemessen werden, während ich die nächsten drei Stunden mit Denkspielen und Rätseln beschäftigt bin. Dr. Fallahpour dämpft das Licht, ich setze mir einen Kopfhörer auf und konzentriere mich auf den Computerbildschirm vor mir.
Meine erste Aufgabe besteht darin, sechs Minuten lang auf einen roten Punkt zu starren. Ich starre und starre. Dr. Fallahpour ermahnt mich, den Kiefer nicht so zu verkrampfen. Dadurch könnten die Messergebnisse verfälscht werden. Also starre ich mit offenem Mund weiter. Ich sehe blöd aus. Ich komme mir blöd vor. Ob sich das wohl am Messergebnis bemerkbar machen wird?
Ich suche Wege aus Labyrinthen, ich mache Gedächtnisübungen mit Wortlisten, ich ordne Buchstaben in einem Schachbrettmuster an. Ich betrachte Fotos von Fremden und versuche, aus ihrem Gesichtsausdruck auf ihre Stimmung zu schließen – auch dann noch, als ich mit schrecklichem, gewehrsalvenartigem Lärm beschallt werde, der meine Konzentration stören soll.
Die Computerstimme, die mich durch den Test führt, gehört eindeutig einem Engländer. Er klingt gleichzeitig aufmunternd und herablassend.
»Gut gemacht«, sagt er nach jeder Übung, auch wenn ich sie vergeigt habe.
Eine andere Aufgabe besteht darin, alle Wörter mit »Sch« am Anfang zu nennen, die mir spontan einfallen. Ich beginne mit vollkommen akzeptablen Wörtern wie Schokolade, Schaf, Schüler. Doch dann verlässt mein Hirn erwartungsgemäß den Pfad der Political Correctness. In meinem mentalen Sprachzentrum blinkt das Sch-Schimpfwort auf, darf ich das jetzt sagen? Und was ist mit diesem hässlichen Wort für einen homosexuellen Mann? Ich bin hin- und hergerissen zwischen meinem Anstandsgefühl und meinem Drang zu punkten. Am Ende siegt der Wettkämpfer in mir.
Eine Woche später habe ich einen zweiten Termin bei Dr. Fallahpour, um mit ihm die Ergebnisse zu besprechen.
»Was wollen Sie zuerst hören, die guten oder die schlechten Nachrichten? Ich sage den Leuten immer, dass auch die schlechten Nachrichten eigentlich gute Nachrichten sind, denn dann wissen wir, wo wir ansetzen müssen.«
Ich will trotzdem lieber ganz klassisch die guten Nachrichten zuerst.
»Im kognitiven Bereich sind bei Ihnen im Großen und
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