Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
Marti sie. »Falls ja, und mal angenommen, dass du mit A. J. noch intim bist, kriegt er was von dem Gift in deinem Mund ab.«
Julie hat nur eine Füllung, und die ist nicht aus Metall.
»Gut, dann ist sie sauber, denke ich«, sagt Marti zu mir und grinst.
Glücklicherweise haben wir wenigstens kein Auto. Die Polsterung von Autositzen steht nämlich auch auf Martis Giftliste. Häufig sind sie mit dem Flammschutzmittel Deca BDE imprägniert, das im Verdacht steht, Lernstörungen zu verursachen. Apropos: Marti meint es mit dem giftstofffreien Leben so ernst, dass sie ihren brandneuen Toyota Corolla ein halbes Jahr lang mit geöffneten Fenstern auf der Straße stehen ließ, bevor sie ihn das erste Mal fuhr. Sechs Monate, nur damit die giftigen Dämpfe in der Polsterung verfliegen.
Nachdem wir ein Rohkost-Mittagessen zu uns genommen haben, geht Marti Großvater besuchen, um seine Wohnung zu dekontaminieren. Zum Abschied nehme ich sie in den Arm, obwohl ich dabei wahrscheinlich jede Menge Giftstoffe auf sie übertrage.
Die Chemie, dein Freund und Helfer
Aus Paritätsgründen habe ich mich mit jemandem zum Mittagessen verabredet, den Marti umgehend als Erzfeind einstufen würde. Vor ein paar Wochen stellte mich ein Freund einem Herren namens Todd Seavey vor. Er arbeitet für eine Organisation mit dem respekteinflößenden Namen American Council on Science and Health , kurz ACSH (einige Zeit später wird er zum konservativen Wirtschaftssender Fox Business News wechseln). Der ACSH ist eine der Libertarian Party nahestehende Interessenvertretung, die sich dem Kampf gegen das verschrieben hat, was ihre Mitglieder als »irrationale Ängste vor Chemieprodukten« bezeichnen.
Wir haben uns in einem italienischen Restaurant verabredet. Ich bin früher da als er und nehme schon mal Platz.
»Wie geht es Ihnen?«, frage ich, als er sich zu mir setzt.
Ich habe mit einer Antwort in Richtung »gut« oder »danke, bestens« gerechnet. Stattdessen beschwert er sich drei Minuten nonstop, sein Tag habe ganz furchtbar angefangen. Ein wissenschaftliches Fachblatt hat offenbar soeben verkündet, keine Studien mehr zu veröffentlichen, die von der Tabakindustrie gesponsert werden – laut Seavey ein gefährlicher Präzedenzfall, der dem Fortschritt der Wissenschaften zweifellos ein abruptes Ende bereiten werde. Mal ganz abgesehen davon hält er es für eine schreiende Ungerechtigkeit, die Pharmaindustrie in Bausch und Bogen zu verteufeln, obwohl die uns doch in den letzten 50 Jahren einen kontinuierlichen Anstieg der Lebenserwartung beschert habe. »Ich dachte immer, Ayn Rand hätte in ihrem Klassiker Der Streik die Schrecken des Kollektivismus maßlos übertrieben – aber jetzt kommt mir ihr Buch geradezu prophetisch vor. Die Regierung wird die Wirtschaft noch zu Tode regulieren.« Er erhebt sein Wasserglas. »Auf den langsamen Tod der Zivilisation.«
Zögerlich erhebe auch ich mein Glas. Mir fällt nichts Besseres ein.
Seavey – dünn, schmutzigblondes Haar, dem Schauspieler Eric Stoltz nicht unähnlich – arbeitet seit sieben Jahren für den ACSH, der ganz eindeutig der Industrielobby zuzuordnen ist. Trotzdem möchte ich diese Organisation nicht auf das Klischee einer Truppe typisch amerikanischer Konzernapologeten reduzieren. Schließlich vertritt sie auch eine ausgeprägt tabakfeindliche Haltung.
Dem ACSH geht es nach eigenen Angaben einzig und allein darum, dem Gesundheitswesen zu größerer Effizienz zu verhelfen. Anstatt gegen imaginäre Gefahren vorzugehen, soll es sich auf den Einsatz gegen tatsächliche Gesundheitsrisiken beschränken. So sterben an den Folgen des Tabakkonsums allein in den USA jährlich 440 000 Menschen – mehr als an jedem mutmaßlichen chemischen Giftstoff.
Des Weiteren argumentiert der ACSH , das Verbot des Insektenvernichtungsmittels DDT habe seitdem weltweit Millionen Malaria-Tote gefordert. Eine umstrittene Darstellung, die den ACSH jedoch nicht von der Schlussfolgerung abhält, der Einsatz von DDT sei für den Menschen nur mit minimalen gesundheitlichen Risiken verbunden und hätte daher niemals verboten werden dürfen.
»An einem Giftstoff zu erkranken, ist extrem unwahrscheinlich«, sagt Seavey. »Das Risiko ist minimal, wenn es überhaupt eins gibt. Das sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand, dass die winzig kleinen Mengen, um die es in der Regel geht, unmöglich so schädlich sein können.«
Warum dann diese allgemeine Giftstoffpanik?
»Vielleicht ist das noch ein Reflex aus
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