Saugfest
tobt und wütet ein Gefühlschaos« in den Sinn. Was soll ich denn jetzt nur machen? Ich meine, das kommt alles ein bisschen plötzlich, und ich erkenne mich noch weniger wieder als während Hubertus’ Kuss.
Ich öffne den Mund und möchte gerade anfangen, etwas zu sagen, da wird Hubertus wach, und man eilt zu ihm, um ihn beim Aufstehen zu stützen. Er ist ganz blass.
»Oh«, sagt er und schaut zu William. »Oh … und? Was hat sie gesagt?«
»Mit ihr ist nicht zu sprechen«, sagt William resigniert. »Auf dem Ohr ist sie taub.«
»Hubertus«, sage ich froh und spüre das Gefühl.
Hubertus sagt: »Aha. Also scheint nichts etwas zu nützen.« Er sieht mich traurig an. »Ich finde das so schade, Helene. Dass man nicht über seinen eigenen Schatten springen kann, das ist so was von erbärmlich! Dass du es nur weißt und niemals vergisst.«
»Aber ich –«, versuche ich zu antworten, doch Hubertus hebt die Hand.
»Es ist alles gesagt. Ich bin dir nichts wert, das weiß ich jetzt. Und nun lass mich in Ruhe.« Er sieht in die Runde. »Sie kann gehen. Schickt sie fort. Hier kann man nichts mehr richten.«
Noch einmal versuche ich, mir Gehör zu verschaffen, aber es ist sinnlos. Sie weichen alle zurück und lassen mich einfach stehen. Zum dreitausendsten Mal bin ich durcheinander.
Und nun? Letztendlich mache ich das, was ich am besten kann, wenn ich über mich mal nachdenken soll, wie mir plötzlich klarwird: Ich renne einfach davon.
21
Warum auch immer ist der Fahrstuhl da, und die Tür steht auch offen. Ich renne hinein und drücke den obersten Knopf, während ich bete, dass der blöde Lift auch da hält, wo es rausgeht. Wie immer knarzt und ächzt das Ding, aber das Schicksal scheint es gut mit mir zu meinen, kein Modem blockiert das Getriebe. Und von Hagen und Anselm keine Spur. Da muss man dankbar sein. Jemand stupst mich am Bein. Der Heuler. Kann der Wolf sich nicht einfach mal um seine Jungen kümmern? Was hängt er dauernd an mir wie eine Klette? Andererseits ist das jetzt auch egal. Und der Heuler macht mir wenigstens kein schlechtes Gewissen.
Der Fahrstuhl quält sich nach oben, und dort angekommen, gehen die Türen auf. Tatsächlich, der Ausgang. Es wird gerade hell, oder es ist noch hell und wird gerade dunkel, ich weiß es nicht, denn ich habe jedes Zeitgefühl verloren.
Da, mein Auto! Wie gut, dass ich die Wagenschlüssel immer bei mir behalte, egal was passiert, so auch heute. Das Taxi springt sofort an, und ich mache, dass ich von hier fortkomme. Ich zwinge mich, nicht an das Geschehene zu denken. Das ist für alle Beteiligten besser und für mich allemal.
Mit durchdrehenden Reifen fahre ich los, so dass der Schlamm hochspritzt und ich mich fühle wie ein Mantafahrer. Es fehlt nur noch der Fuchsschwanz am Rückspiegel, Recarositze und Lexmaul-Tuning. Und tiefergelegt müsste das Taxi auch noch sein. Dann würde es passen.
Ich will nur noch eins: nach Hause und nachdenken, wie ich das alles wieder geraderücken kann. Automatisch stelle ich den Funk
an, und gleich danach ertönt die Stimme von Benno Lind, unserm Chef. »Helene, bist du da?«
»Ja, was ist denn?« Muss das ausgerechnet jetzt sein?
»Du, das ist mir jetzt wirklich total unangenehm, aber einer muss es dir ja sagen … «
»Was sagen?«
Das Getriebe macht einen ohrenbetäubenden Krach, weil ich vergessen habe, in den zweiten und dritten Gang zu schalten, aber fast achtzig Sachen draufhabe.
»Es geht um unsere Zusammenarbeit.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, die Wirtschaftskrise hat auch uns empfindlich getroffen.« Blablabla. Er redet ja wie ein Privatbankier, der gerade ein paar Millionen verloren hat. »Und wir müssen reduzieren, uns mit den Mitarbeitern einschränken.«
»Aha.«
»Wir haben lange überlegt und dann beschlossen, uns wirklich nur von denen zu trennen, die nicht mehr allzu viel einfahren. Du gehörst leider dazu. Außerdem – na, das weißt du ja selbst am besten – gibt es ja immer wieder Beschwerden über dich.«
»Blödsinn.«
»Doch, doch. Denk mal an den Fahrgast mit der Salmonellenvergiftung. Du hattest dich geweigert, ihn ins Krankenhaus zu fahren. Oder diese schwangere Japanerin, bei der während der Fahrt die Fruchtblase geplatzt ist und die du noch gezwungen hast, alles sauberzumachen, obwohl die Wehen schon alle dreißig Sekunden kamen. Ich erinnere mich auch noch gut an den Familienvater, der hier aufgebracht angerufen hat. Sein Sohn war mit dem Kopf gegen die Heizung geknallt und
Weitere Kostenlose Bücher