Saukalt
sind. Heutzutage ist man da natürlich schon viel gescheiter und
weiß, dass die meisten Straftäter selbst Opfer sind. Weil entweder haben sie
als Kinder zu wenig Liebe gekriegt, die Mutter hat ihnen nicht lange genug die
Brust gegeben, sie sind geschlagen worden oder stammen aus schlechtem sozialen
Umfeld oder so. Das sind nur ein paar Beispiele dafür, warum so ein Mensch zum
Verbrecher werden kann. Dir ist sicher aufgefallen, dass manche dieser Gründe
auf die Familie Fellner gepasst haben. So gesehen hätten die es heute viel
leichter. Aber damals hat niemand Mitleid gehabt. So ist es halt gekommen, dass
die Mitglieder der Familie in Verruf geraten und nicht als Opfer, sondern
einfach nur als Gauner gesehen wurden. Der Strobel, obwohl Ordnungshüter,
wusste es halt auch nicht besser. In der Zwischenzeit hatte der Mensch 40 Jahre
Zeit, um auf verschiedene Dinge draufzukommen. Seither hat es freilich viele
Fortschritte gegeben. Auch im Hinblick auf die Verbrechensbekämpfung. Vor allem
in psychologischer Hinsicht hat sich viel getan. Jetzt kannst du natürlich an
der Theorie zweifeln, dass jeder Täter in Wahrheit selbst ein Opfer ist, und
sagen, dass die Menschheit ja auch irgendwann glaubte, dass die Erde eine
Scheibe ist. Und du hast vollkommen recht. Aber letztendlich dauerte es viele
Jahrhunderte, bis man genau wusste, dass die Sache mit der Scheibe falsch war.
Also ist es durchaus legitim, wissenschaftliche Theorien in Frage zu stellen.
Aber du darfst eben nicht vergessen, wie viele Fortschritte wir allein in den
letzten 40 Jahren gemacht haben. Da ist schon einiges an wertvollem Wissen dazu
gekommen. Die Tatsache, dass viele Serienmörder zwei Vornamen haben, war damals
ebenso unerforscht wie der Umstand, dass Kinder, die mit Vornamen Kevin heißen,
in der Schule schlechtere Noten bekommen. Letzteres ist Gott sei Dank im Jahr
2010 im Rahmen einer Studie erkannt worden. Das hat sicher viele Eltern
beruhigt, die bis dahin geglaubt hatten, dass ihr Kevin ein Depp ist. Damals,
im Jahr 1971, ist das freilich von niemandem hinterfragt worden, ob Kinder mit
bestimmten Vornamen von ihren Lehrern strenger benotet wurden. Es interessierte
allerdings aus mehreren Gründen auch kein Schwein. Erstens gab es nicht so
viele Kevins, und zweitens war es ein unerforschtes Thema. Was aber, wenn diese
Form der Diskriminierung damals Träger anderer Vornamen getroffen hat? Was,
wenn ich selber ein Betroffener solch himmelschreiender Ungerechtigkeit war?
Oder was, wenn der eine oder andere Kevin von heute wirklich einfach nur ein
Depp ist? Ist dieses Studienergebnis dann falsch? Wie dem auch sei. Auch nicht
vergessen darfst du die vielen Irrtümer, denen die Wissenschaft vor vielen
Jahren noch aufgesessen ist. Ich meine, es ist ja nicht nur die
Scheibengeschichte, die sich im Laufe der Entwicklung als unrichtig
herausstellte. Gleiches gilt auch in der Medizin. Beispielsweise hat es Zeiten
gegeben, da glaubte man in der Psychiatrie fest daran, dass man das Hirn mit
Elektroschocks von allen möglichen Fehlschaltungen befreien könnte. Am
laufenden Band haben sie da herum experimentiert, bis ihre Patienten nur noch
sabbernde Dolme waren. Gebracht hat’s außer einer hohen Stromrechnung freilich
nichts. Aber so ist es halt einmal. Wo gehobelt wird, da fallen Späne, und wenn
du dir bei irgendwas nicht so sicher bist, musst du eben so lange
herumprobieren, bis deine Theorie sich bestätigt. Oder eben auch nicht. Ein
paar kleinere Kollateralschäden bringt die Forscherei freilich manchmal mit
sich. Heute kann es dir nicht mehr so leicht passieren, dass du
wissenschaftliches Neuland betrittst. Weil für alles gibt es irgendwelche
Studien, die mehr oder weniger wichtig sind. Du brauchst ja nicht glauben, dass
der arme Kevin ein Einzelfall ist. Nimm zum Beispiel die Stauforscher her.
Total wichtig, dass es die gibt. Wo wären wir, wenn wir nicht genau wüssten,
wie so ein Stau entsteht und was er uns kostet. Seltsamerweise staut es auf
unseren Straßen trotzdem. Aber vielleicht ertragen die Urlauber stundenlange
Wartezeiten heute besser, weil sie verstehen, wieso es so weit kommen konnte.
Möglich wär’s. Sicher ist, dass wir heute alles mit anderen Augen sehen als
noch vor 40 Jahren. Das heißt, fast alles. Was uns die Wissenschaftler bis
heute nämlich nicht haben lernen können, ist so eine Sache wie Toleranz. Weil
trotz aller Erkenntnisse in den verschiedensten Bereichen, mag die Zigeuner
immer noch keiner. Nirgends will man die
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