Savannah
vorzuwerfen.«
Die beiden standen da und starrten einander an. Die Sekunden schienen zu Stunden zu werden. Zwischen ihnen hatte sich eine Spannung aufgebaut, die sie daran hinderte, sich vorwärts oder rückwärts zu bewegen. Savannahs Herz pochte so heftig, dass sie das Gefühl hatte, ihre Brust würde zerspringen.
Dann streckte er langsam seine Hand aus und berührte ihre Lippen mit seinem Zeigefinger. »Was ist das, was hier passiert?«, murmelte er, aber sie war nicht sicher, ob er diese Frage an sie gerichtet hatte. Genauso hätte er mit sich selbst reden können, vielleicht hatte er die Berge in der Feme gefragt oder die zwei einsamen Sterne am Himmel.
Seine Berührung ging ihr durch und durch. Sie wusste keine Antwort auf seine Frage und deshalb schwieg sie. Sie rührte sich aber nicht von der Stelle, sie floh nicht ins Innere der Station, wie es jede anständige Frau getan hätte.
Wie ein Mensch, der gerade aus einem Traum erwacht, umfasste er schließlich Savannahs Schultern, zog sie ganz eng an sich und gab ihr einen langen zarten Kuss, der immer stürmischer wurde.
Verschwommen dachte sie, dass sie sich wehren müsste - ihn treten, schlagen, beißen oder sonst etwas, aber sie tat nichts. Sie ließ sich von ihm küssen, küsste ihn zurück - und genoss es unendlich. Als es vorbei war und er seine Lippen von ihrem Mund löste, schienen ihre Beine unter ihr nachzugeben, aber da er sie immer noch an den Schultern hielt, stützte er sie. Während des Kusses hatte sie deutlich gespürt, dass sie mehr wollte - mehr brauchte, aber sie wäre eher gestorben, als ihm das zu gestehen. Sie konnte ihn nur erstaunt anschauen.
Seine dunklen Augen glitzerten im schwachen Licht der Kerosin Lampen, die in der Halle der Station brannten. Aus der Feme war ein Donnergrollen zu hören und der Horizont schien plötzlich in Flammen zu stehen, als ein Blitz vom Himmel fuhr. Wenn Savannah es nicht besser gewusst hätte, hätte sie in diesem Moment geschworen, Hass der Teufel persönlich sie geküsst hatte.
Er lächelte sie - fast schon unverschämt - an, drehte sich um und verschwand leise pfeifend in der Dunkelheit.
Savannah stand eine Weile still da und atmete ein paar Mal tief durch, wobei sie Hoffnung hatte, dass sich ihr Pulsschlag wieder normalisieren würde und die Wangen wieder ihre normale Farbe annehmen würden. Dann öffnete sie die Tür und trat in die große Halle der Station. Die McCaffreys saßen in ihren Schaukelstühlen vor dem Kamin und June hielt Mirandas Baby in den Armen.
»Ah, da sind Sie ja wieder«, sagte die Stationsmeisterin, deren Stimme immer wie Musik klang, auch wenn sie nicht sang. »Hat Trey Sie nach Hause gebracht?«
Savannah zwang sich zu einem Lächeln, als sie den nun leeren Korb absetzte und ihre Stola abnahm. Innerlich zitterte sie weiter, denn sie spürte immer noch die Lippen des Doktors auf ihrem Mund. Verlangend und fordernd war sein Kuss gewesen - ganz anders, als Burke sie jemals geküsst hatte. »Ja, das hat er. Rachel ist eine liebenswerte Frau und eine gute Köchin.«
June nickte und murmelte ein paar unverständliche, aber wohl beruhigende Worte, als das Baby sich im Schlaf drehte. »Sie hat aus Trey einen vollkommen anderen Menschen gemacht und Emma tut es auch gut, wieder eine Mutter zu haben. Ich denke, dass Rachel schon ganz aufgeregt wegen des neuen Hauses ist.«
Bei dieser Bemerkung seiner Frau wiegte Jacob seinen Kopf langsam von einer Seite zur anderen, bevor er sich in das Gespräch einschaltete. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es vor dem nächsten Frühjahr fertig ist. Vielleicht sollten sich Trey und Rachel nicht allzu große Hoffnungen machen.«
»Unsinn«, erwiderte June, deren Stimme leicht tadelnd klang. »So weit ist Seattle ja auch nicht entfernt. Die Frachtkutsche muss jeden Tag hier eintreffen. Verlass dich auf mein Wort.«
Jacobs Antwort war wie üblich freundlich, aber trocken. »Ich hoffe natürlich, dass du Recht hast, Miss June. Doch, das hoffe ich wirklich.«
Wieder blitzte und donnerte es und inzwischen schien das Gewitter näher zu sein. Besorgt hob June den Blick. »Du solltest den Doktor ins Haus, holen, Jacob. Er könnte sich den Tod holen, wenn er in so einer Nacht auf dem Heuboden schläft.«
Auch bei einer besseren Beleuchtung hätte man kaum sagen können, ob Jacob wirklich lächelte. »Mach dir keine Sorgen, meine Liebe«, sagte er. »Dr. Parrish ist jung und zäh. Und er ist genau dort, wo er hingehört.«
4
Es war noch
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