Savannah
Auftritt.
Sie hatte gerade die erste Strophe des Liedes beendet — eine schwülstige Schnulze, die von einer Mutter mit silbergrauen Haaren handelte, die die Straßen nach ihrem geliebten Sohn Billy absuchte, der jedoch nicht mehr aus dem Krieg zurückkommen würde -, als Dr. Parrish den Saloon betrat. Bei seinem Anblick stockte Savannah fast der Atem. Einfach so.
Er hatte die Ärmel seines hellbraunen Hemdes aufgerollt, sodass seine kräftigen Unterarme sichtbar waren. Seine dunklen Haare waren zwar leicht verstrubbelt, aber sie glänzten so seidig wie die Federn eines Raubvogels. Seine Augen verengten sich, als er Savannah in ihrem aufreizenden Kleid sah, mit ihrem grell geschminkten Gesicht und den offenen Haaren, in die sie glitzernde farbige Federn gebunden hatte.
Savannah machte sich schon lange keine Illusionen mehr darüber, wér sie war und was sie tat, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen - jedenfalls war es meistens so. Aber jetzt versetzte es ihr doch einen Stich, als sie sah, wie sich das Gesicht des Arztes bei ihrem Anblick veränderte - und das machte sie ungeheuer wütend.
Sie schlug fester in die Tasten und sang lauter und tat so, als bemerke sie den Doktor überhaupt nicht, obwohl sie ihn natürlich aus den Augenwinkeln heraus genau beobachtete. Es war, als wären sie beide ganz allein im Raum. Weder der Bartender, der unaufhörlich die Gläser der Gäste füllte, noch die Horde der lärmenden Cowboys, die ebenso unaufhörlich ihre ausgedörrten Kehlen mit Whiskey befeuchteten, schienen zu existieren. Pres ging nicht zur Bar, sondern trat langsam auf das Piano zu.
Savan n ah machte sich innerlich auf einen Streit, ein scharfes Wortgefecht mit ihm gefasst, aber er sagte kein Wort, sondern setzte sich nur an den Tisch, der am nächsten beim Klavier stand. Wortlos schob er einen Cowboy mit dem Arm zur Seite, der dort gerade auf dem letzten freien Stuhl Platz nehmen wollte. Der Mann maulte zwar, ging dann aber zu einem anderen Tisch, da er es wohl nicht auf eine Schlägerei mit dem Fremden ankommen lassen wollte.
Savannahs Stimme zitterte ein wenig, aber das schien ihr Publikum nicht zu merken, denn die Leute klatschten begeistert Beifall, als sie den Refrain wiederholte. Sie wollte ihr Gesicht abwend en, um Parrish nicht mehr anse hen zu müssen, aber ihr Blick war wie von einem magischen Zauber gefangen. Der Mann schien sie in seinen Bann geschlagen zu haben, in einen Bann, den sie nicht brechen konnte. Sie konnte ihre eigene Stimme nicht mehr hören, sie hörte nicht mehr den Lärm in der verrauchten Bar. Sie wusste, dass sie weiter sang, denn sie spürte die Resonanz ihrer Stimmbänder in ihrer Kehle.
Als das Lied zu Ende war, raste das Publikum und forderte eine Zugabe, aber diesen Wunsch konnte Savannah ihren Gästen in diesem Moment nicht erfüllen. Sie blieb einfach nur sitzen und schaute Dr. Prescott in die Augen.
Die Cowboys schrien und johlten noch eine Weile, bevor sie ihren Protest aufgaben und begriffen, dass Savannah kein anderes Lied mehr singen würde - jedenfalls im Augenblick nicht. Sie unterhielten sich laut, bestellten mehr Whiskey und umlagerten die Spieltische. Der Doktor dagegen rührte sich nicht, er ging nicht zur Bar und er orderte auch keinen Drink, wie Savannah erwartet hatte.
Irgendwann ließ der Zauber nach und der Bann war gebrochen. Sie stand auf und ging zu ihm, wobei sie mit dem Saum ihres Kleides den Staub vom Boden aufwirbelte. Inzwischen saß Pres allein am Tisch, denn die anderen Männer, die bei ihm gesessen hatten, waren längst in ein Glücksspiel vertieft, das in der anderen Ecke der Bar stattfand.
»Möchtest du einen Drink?«, fragte sie, obwohl ihr inzwischen wieder eingefallen war, dass er ja gar kein Geld hatte, um dafür zu bezahlen. Jacob McCaffrey hatte ihm ja seine letzten Cents beim Checker-Spiel abgenommen.
Er schüttelte den Kopf. »Setz dich«, sagte er gerade so, als hätte er das Recht, irgendwelche Forderungen zu stellen. Seine Stimme war allerdings leise und er schien sich Mühe zu geben, höflich zu sein.
Savannah setzte sich. Sie redete sich ein, dass sie das ja nur tat, weil es bis jetzt ein langer Tag gewesen war und sie sich etwas erschöpft fühlte, aber sie wusste, dass sie sich damit selbst etwas vormachte. In Wahrheit ging von dem Mann eine Ausstrahlung aus, der sie sich nicht entziehen konnte - der sie sich vielleicht auch gar nicht entziehen wollte. Die Spannung zwischen ihnen war so groß, als ob ständig Blitze
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