Savannah
Eselsscheiße wärst, hättest du immer noch das Recht, an dem Fest teilzunehmen.«
Savannahs Herz schlug einen Salto und sie konnte nur hoffen, dass sich das nicht in ihrem Gesicht widerspiegelte. »Ich vermute, dass hinter dieser Beleidigung ein Kompliment versteckt sein soll«, sagte sie, aber sie konnte nicht verhindern, dass sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen. Getrocknete Eselsscheiße! Das war mehr als unverschämt.
Er lachte, aber er nahm ihre Hand nicht von ihrem Gesicht. »Takt war noch nié meine Stärke«, sagte er. »Komm, Savannah, mach mit bei dem Fest. Oder willst du zum Beispiel June die Freude verderben? Sie wird sich die ganze Zeit Sorgen um dich machen - und viele andere auch. Denn vermutlich hast du bemerkt, dass solche Feste in und um Springwater herum immer noch etwas ganz Besonderes sind.«
Sie seufzte tief. »Wie kann ich mich denn in diesem Kleid dort blicken lassen?«
»Pass auf, ich laufe zur Station zurück und hole dir die Sachen, die du anziehen willst.« Er räusperte sich. »Ich weiß ja, dass du auch ... anständige ... Kleidung hast. Ich denke, dass deine ... äh ... Unterwäsche kein Problem sein wird.« Sie sah seinen Augen an, dass er glaubte, sie würde ohnehin keine Unterwäsche tragen, da sie schon in einer Bar als Sängerin auftrat. Natürlich trug sie Unterwäsche, aber das musste sie ihm ja nicht auf die Nase binden!
Savannah wusste, dass sie nachgeben musste. June, diese herzliche, liebevolle Seele würde sicher nach ihr suchen, so wie sie nach jedem verlorenen Küken suchte. June würde sie finden, wo immer sie sich versteckte. Und wenn sie sich dann weiter weigern würde mitzukommen, würde sie damit der älteren Frau die Freude am Fest verderben. »Den blauen Rock und die weiße Bluse«, sagte sie gepresst. »Sie hängen auf Bügeln in meinem Zimmer.«
Dr. Parrish nickte. »In ein paar Minuten bin ich wieder zurück«, versprach er und verschwand durch die Vordertür.
Durchs Fenster beobachtete sie ihn, wie er mit schwingenden Armen die Straße zur Station ging. Es schien, dass Dr. Parrish sich in Springwater eingewöhnt hatte und sich hier - trotz gewisser Nachteile - ganz zu Hause fühlte. Darum beneidete Savannah den Mann, denn sie selbst fühlte sich hier noch immer nicht heimisch. Sie merkte auch plötzlich, dass ihr seine Hand auf ihrer Wange fehlte, sein Daumen, der über ihre Lippen strich, sie vermisste diese sensiblen Chirurgen-F in ger, auch wenn sie das nie zugegeben hätte.
Wi e versprochen, war er in kürzester Zeit mit ihrer Kleidung über dem Arm zurück. Allerdings wäre es Savannah lieber gewesen, er hätte den Hintereingang des Saloons benutzt, damit nicht alle gesehen hätten, dass er ihr andere Kleidung brachte, denn das neue Haus von Rachel und Trey wurde in Sichtweite des Saloons erbaut.
»Vergiss nicht, dir das Gesicht zu waschen«, flüsterte er in vertraulichem Ton.
Savannah war fast dankbar, dass er sie daran erinnert hatte, aber ihre Freude war getrübt, denn dieser Mann sah eindeutig auf sie herab. Hatte er nicht immer wieder ihre Kleidung kritisiert und abfällige Bemerkungen über ihre Schminke gemacht?
»Vielen Dank, Herr Doktor«, meinte sie und riss ihm wütend ihre Kleidung aus der Hand.
Pres bewunderte ihren Mut, aber er hatte ja schon immer gewusst, dass sie eine couragierte Frau war. Er erinnerte sich daran, als er sie zum ersten Mal in Choteau bei der Arbeit im Saloon beobachtet hatte. Sie war spielend mit dieser besoffenen Meute fertig geworden. Er hatte gesehen, dass sie ihren Rücken immer gerade gehalten hatte, das Kinn kämpferisch ein bisschen vorschob und wie sie den Menschen in jeder Situation direkt in die Augen geschaut hatte - egal, um was es gerade ging.
Er hätte viel darum gegeben, wenn er Savannah auch jetzt beobachten könnte, als sie an einem der langen Tische von June saß und sich mit den anderen Frauen bekannt machte. Er zweifelte nicht daran, dass sie sich blendend anpassen würde, aber es wunderte ihn, dass es ihr so an Selbstvertrauen mangelte. Sie hatte wirklich Angst vor den anderen Frauen, dabei sah sie so hübsch in ihrem schlichten Kleid aus und ihr Gesicht hatte sie doch auch mit so viel Sorgfalt geschrubbt, dass es schon von weitem rosig glänzte. Das Haar - wenn er nur daran dachte, wurde ihm ganz anders - hatte sie züchtig zu einem losen Knoten im Nacken zusammengesteckt, sodass von der wilden Frisur nichts mehr zu sehen war. Schade eigentlich.
Ein freundlicher Schlag
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