Savannah
wobei ihm Trey immer noch wie ein Schatten folgte, aber vielleicht waren nicht einmal dreißig Minuten vergangen. Pres streifte sich das Stethoskop vom Nacken und steckte es in seine Tasche. Sein Blick war düster und seine Augen suchten zuerst Savannah, als wollte er sich bei ihr Mut holen, bevor er June anschaute.
»Er lebt«, sagte er, »aber es sieht nicht gut aus. Selbst wenn er die Nacht und die nächsten Tage übersteht, wird es lange dauern, bis er sich wieder erholt hat.«
Savannah wollte zu ihrem Mann gehen und hätte gerne den Arm um ihn gelegt, um seine Stärke zu spüren und ihm etwas von ihrer Kraft abzugeben, aber das wäre in diesem Moment völlig unpassend gewesen. So stand sie neben Junes Stuhl, legte ihre Hand auf die Schulter der älteren Freundin und betrachtete ihn schweigend.
Pres seufzte und rieb sich den Nacken mit einer Hand. »Sie legen sich jetzt am besten hin und ruhen sich etwas aus«, sagte er zu June. »Es nützt niemandem etwas, wenn Sie sich überanstrengen.«
June straffte die Schultern und reckte ihr Kinn. »Frauen haben immer Krankenwache gehalten. Länger, als jeder Mann sich überhaupt vorstellen kann. Mir war es nicht vergönnt, bei meinen Söhnen zu wachen, bevor sie gefallen sind, aber ich werde mit Sicherheit am Bett meines Mannes sitzen und seine Hand halten.«
Ein Kloß formte sich in Savannahs Kehle. Sie musste schlucken und sich beherrschen, um nicht um Jacob zu weinen oder um June oder ihre beiden Söhne, nicht zu trauern um all die anderen Familien, deren Söhne, Brüder und Väter nie mehr nach Hause kommen würden, weil der Krieg sie gefressen hatte.
»Ich muss heute Nacht hier bleiben, Savannah«, sagte Pres zu seiner Frau. »Trey wird dich nach Hause bringen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht gehen«, sagte sie bestimmt. »Wie du dich erinnerst, bin ich jetzt die Frau eines Arztes.«
Der Schatten eines Lächelns huschte über seinen Mund - der Mund, der erst Stunden zuvor im Bett ihre Gefühle in Aufruhr versetzt hatte. Sie wollte Pres plötzlich haben, nicht auf die spielerische leidenschaftliche Art der gerade vollzogenen Hochzeitsnacht, sondern in der ursprünglichen Art, die mehr mit der Bestimmung des Lebens an sich zu tun hatte. Sie wusste, dass er genauso empfand, und dass sie, wenn sie wieder allein sein würden egal, wie viel Zeit inzwischen vergehen würde - sich wieder lieben würden, auf eine ganz elementare Weise. Sie würden ein Fest der Liebe feiern, indem sie auf ihren Herzschlag lauschten, den Sonnenaufgang beobachteten, Wildblumen pflückten, den Duft von frisch gebackenem Brot und heißem Kaffee in sich einsaugten, indem sie all die tausend wunderschönen Dinge des Alltags miteinander teilten - die großen wie die kleinen.
June erhob sich etwas schwankend aus ihrem Schaukelstuhl und Savannah hätte sie jederzeit gestützt, falls das nötig gewesen wäre, aber Jacob McCaffreys Frau war trotz ihrer zierlichen Figur robust und zäh und würde nicht fallen. »Ich gehe jetzt zu ihm«, sagte sie.
Savannah nickte.
»Die Kinder ... sie werden Angst haben«, sorgte sich Ju n e und schlug die Hand vor den Mund, als würde sie sich Vorwürfe machen, dass sie die Kleinen für eine Weile völlig vergessen hatte. »Der arme Toby glaubt doch, dass in Jacob McCaffrey die Sonne auf-und untergeht.«
»Ich kümmere mich schon um die beiden«, versprach Savannah ruhig. »Sie konzentrieren sich jetzt ganz auf Jacob und sich selbst.«
June nickte und wieder glitzerten Tränen in ihren Augen. »Danke, Liebchen«, sagte sie und ging zu ihrem Mann, um bei ihm Wache zu halten. Pres schaute seine Frau bewundernd an. »Ja«, sagte er, bevor er der Stationsmeisterin ins Krankenzimmer folgte. »Danke.«
Trey saß auf einer Bank. Er wirkte erschöpft und machte ein besorgtes Gesicht.
»Geh nach Hause, Trey«, sagte Savannah. »Rachel und Emma warten sicher schon auf eine Nachricht und hier kannst du im Moment sowieso nichts tun.«
»Schickst du jemanden rüber, falls wir gebraucht werden?«
»Ja«, versprach sie, »ich komme selbst.«
Das schien Trey doch sehr zu beruhigen, denn er verließ die Station und als Savannah ein paar Minuten später ans Fenster trat, sah sie, wie die Lichter in dem Fertighaus eins nach dem anderen verloschen.
Nachdem sie eine Weile damit verbracht hatte, ihre Gedanken zu ordnen, drehte sie sich um und ging zur Kochstelle. Der Junge saß immer noch so da, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte, zwischen Herd und Wand
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