saved by an Angel
wachsam sein.«
Er gab keine Antwort.
»Bist du noch da?«, fragte sie nach einer sehr langen Schweigepause.
»Ich denk bloß nach«, erwiderte er.
»Dann verheimlichst du mir etwas«, stellte sie fest. »Du versteckst deine Gedanken vor mir.«
Mit einem Mal überkam Ivy ein Gefühl von Liebe und Zärtlichkeit, doch dann durchströmte sie heftige Angst, Wut und wortlose Verzweiflung. Sie trieb in einem aufgewühlten Meer von Empfindungen und einen Augenblick lang bekam sie keine Luft.
»Vielleicht hätte ich wenigstens einen Teil des Geheimnisses lüften sollen«, räumte Tristan ein. »Ich muss dich jetzt verlassen, Ivy.«
»Nein. Warte. Wann sehe ich dich wieder?«, wollte sie wissen. »Wie finde ich dich?«
»Du brauchst dich auf jeden Fall nicht ans Ende des Sprungbretts zu stellen.« Ivy lächelte.
»Ein Ast reicht auch«, meinte er. »Oder das Dach von irgendeinem Haus, das zwei Stockwerke oder höher ist.«
»Was?« .
»War nur Blödsinn«, meinte er lachend. »Ruf mich einfach - jederzeit, überall, lautlos ich werde dich hören. Wenn ich nicht komme, dann mache ich gerade etwas, das ich nicht unterbrechen kann, oder ich bin in der Dunkelheit. Und über die habe ich keine Kontrolle.« Er seufzte. »Ich spüre, wie sie sich anschleicht - jetzt in diesem Moment - und eine Weile kann ich sie zurückdrängen. Aber am Ende verliere ich das Bewusstsein. Auf diese Art ruhe ich mich aus. Eines Tages wird die Dunkelheit vermutlich endgültig sein.«
»Nein!«
»Doch, Liebste«, sagte er leise.
Einen Augenblick später war er verschwunden.
Die Leere, die er in ihr zurückließ, war kaum zu ertragen. Ohne sein Licht versank das Zimmer im bläulichen Schatten, Ivy fühlte sich verloren in diesem Dämmerlicht zwischen zwei Welten. Sie kämpfte gegen die Zweifel an, die sie beschlichen. Sie hatte sich das nicht eingebildet - Tristan war wirklich da und er würde zurückkommen.
Sie spielte einige Stücke von Bach, mechanisch eines nach dem anderen, und gerade in dem Moment, als sie die Noten zugeklappt hatte, rief ihre Mutter nach ihr. Maggies Stimme klang seltsam, und als Ivy den Fuß der Treppe erreichte, verstand sie warum.
Maggie stand vor Ivys Kommode, zu ihren Füßen lag zerbrochen der Wasserengel.
»Liebes, es tut mir so leid«, sagte ihre Mutter.
Ivy ging zur Kommode. Es gab ein paar große Bruchstücke, aber der Rest der Figur war in winzige Teilchen zersplittert. Sie war nicht mehr zu reparieren.
»Bestimmt hat Philip sie vorhin hier vergessen«, meinte Maggie. »Wahrscheinlich hat er den Engel zu nah an die Kante gestellt. Bitte reg dich nicht auf, Liebes.«
»Ich hab ihn selbst hierhergebracht, Mom. Und es ist kein Grund zur Aufregung. So etwas kann jedem passieren«, beruhigte sie ihre Mutter und staunte selbst, wie ruhig sie blieb. »Bitte, mach dir keine Vorwürfe.«
»Aber ich hab es ja nicht getan«, erwiderte Maggie hastig. »Ich wollte dich zum Essen holen und sah die Figur dort liegen.«
Als er ihre Stimmen hörte, steckte Philip den Kopf durch die Zimmertür. »Oh nein!«, jammerte er. »Er ist zerbrochen!«
Hinter ihm trat Gregory ins Zimmer. Er blickte kurz auf die Figur, schüttelte den Kopf und sah zum Bett. »Ella«, sagte er leise.
Doch Ivy kannte den wirklichen Schuldigen. Die Person, die Andrews teuren Sessel vor ein paar Monaten auf geschlitzt hatte - und diese Person war nicht Ella. Am liebsten wäre sie durchs Zimmer gestürmt und hätte Gregory alles ins Gesicht gesagt und ihn so weit gebracht, es vor allen anderen zu gestehen. Aber sie wusste, sie musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Und genau das würde sie tun - bis sie ihn schließlich an dem Punkt hatte, an dem er zugeben musste, dass er mehr als Porzellanengel zerbrochen hatte.
6
»Tis the Season, Sie sprechen mit Ivy. Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Hast du es herausgefunden?«
»Suzanne! Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich nur in Notfällen auf der Arbeit anrufen. Du weißt, wir haben Freitagabend eine Sonderaktion«, sagte Ivy und sah zur Tür, durch die gerade zwei Kunden hereinkamen. Der kleine Laden, der bis unter die Decke mit Kostümen und einem Mischmasch von Dekoartikeln vollgestopft war, die nie der Jahreszeit entsprachen - da waren Osterkörbe neben quiekenden Truthähnen und siebenarmigen Kerzenleuchtern aus Plastik -, zog immer Kaufwillige an. Betty, eine der beiden alten Schwestern, denen der Laden gehörte, lag krank zu Hause, und somit hatten Lillian
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