saved by an Angel
anschließend wischte sie die Kommode ab. Ihre Hände zitterten noch immer. Einem plötzlichen Impuls folgend eilte sie in Gregorys Zimmer, weil sie die Schere, den Rasierer mit eigenen Augen sehen wollte, den Beweis für das, was er getan hatte. Sie hob Zettel und Kleider und Zeitschriften auf und warf sie beiseite. Zwischen den Seiten rutschte ein Stück Zeichenpapier heraus. Es war einmal gefaltet, auf der Innenseite war etwas in dunklen Druckbuchstaben geschrieben. Als Ivy es aufschlug, blieb ihr fast das Herz stehen. Sie erkannte die Handschrift sofort: der kräftige, schräge Strich war identisch mit dem von Wills Überschriften.
Sie überflog den Zettel, dann las sie ihn noch einmal langsam, Wort für Wort, wie eine Erstklässlerin war sie von jeder Buchstabengruppe und ihrer Bedeutung überrascht. Während sie Wills Nachricht las, sagte sie sich immer wieder, dass es nicht seine Worte waren - sie durften es nicht sein. Allerdings stand sein Name darunter.
»Gregory«, hatte er geschrieben. »Ich will mehr. Wenn du es ernst meinst, bring das Doppelte mit. Jetzt, da ich mit drinstecke, gehe ich das Risiko ein, aber es soll sich für mich auch lohnen. Wenn du die Mütze und die Jacke willst, bring die doppelte Summe mit.«
Ivy schloss die Augen und lehnte sich gegen Gregorys Schreibtisch. Es fühlte sich an, als würde man ihr Herz auswringen, bis nur noch ein kleiner Stein übrig war. Wenn alles vorbei war, gäbe es nichts Weiches mehr in ihr, nichts mehr, das noch bluten könnte... oder weinen.
Sie öffnete die Augen wieder. Tristan hatte recht gehabt mit dem, was er über Gregory und Will gesagt hatte. Er hatte nur nicht gewusst, auf welche Weise Will sie verraten würde - dass er für Geld Gregory decken und sie ihrem Schicksal überlassen würde.
Nicht Gregorys Hass und seine dunklen Drohungen, sondern Wills Herzlosigkeit gaben Ivy das Gefühl, besiegt worden zu sein. Warum kämpfte sie überhaupt noch? Zu viel war gegen sie. Sie schob den Brief wieder in die Zeitschrift. Dabei fiel ihr auf Gregorys Stapel ein zerfleddertes Buch über den Baseballspieler Babe Ruth ins Auge, es war eines von Philips Taschenbüchern.
Sie musste weitermachen. Es ging nicht nur um sie, sondern auch um Philip.
Sie schlug die Zeitschrift noch einmal auf und nahm den Zettel heraus, dann eilte sie über den Flur, um sich für die Schule fertig zu machen. Bevor sie das Haus verließ, trug Ivy Ellas Wassernapf und Trockenfutter in ihr Zimmer. Sie brachte Ella dort in Sicherheit und verschloss sowohl die Tür zum Bad als zum Flur.
Ivy hatte die erste Stunde verpasst. Als sie mit einer Abmahnung wegen Zuspätkommens in den Englischkurs kam, winkte ihr Beth zu. Sie sah müde und besorgt aus. Ivy zwinkerte ihr zu und Beth lächelte schwach.
Nach dem Kurs liefen sie nebeneinanderher und versuchten, der Schülermenge zu entkommen, die sich auf den Fluren drängte. Wenn man nicht schrie, verstand man sein eigenes Wort nicht, alle redeten durcheinander und knallten die Türen der Spinde zu. Ivy hakte sich bei ihrer Freundin unter und hielt ihr die geöffnete Hand entgegen. Sofort steckte ihr Beth den Schlüssel zu.
Als sie schließlich ein leeres Zimmer am Ende des Flurs fanden, meinte Beth: »Ivy, wir müssen miteinander reden. Ich hatte letzte Nacht einen Traum. Ich weiß nicht, was er bedeutet, aber ich glaube -«
Die Schulglocke schrillte.
»Oh nein, wir schreiben nächste Stunde einen Test.«
»Mittagspause«, schlug Ivy vor. »An dem Tisch in der Ecke«, fügte sie hinzu, als sie sich trennten.
Zwei Stunden später hatte Ivy Glück. Ms Bryce, die Schulpsychologin, entließ sie etwas früher in die Mittagspause und lobte ihre Fortschritte, ihre neugewonnene
Hoffnung und positive Lebenseinstellung. Die Theater-AG scheint sich auszuzahlen, dachte Ivy bei sich, als sie den kleinen Ecktisch in der Cafeteria besetzte. Ein paar Minuten später kam Beth.
»Will steht in der Schlange. Soll ich ihm winken?«, fragte Beth.
Ivy kaute schnell ihr Sandwich und schluckte. Will war so ungefähr der letzte Mensch auf der Welt, den sie sehen wollte. Doch Beth traute ihm noch immer. Sie gab ihm bereits ein Zeichen.
»Hast du Will irgendwas von dem Schlüssel oder unserer Suche erzählt?«, erkundigte sich Ivy.
»Nein.«
»Gut«, erwiderte Ivy. »Sag ihm auch nichts. Ich will nicht, dass er davon erfahrt - noch nicht«, fügte sie in versöhnlicherem Ton hinzu, als sie Beths überraschten Gesichtsausdruck sah.
»Aber vielleicht hat
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