Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
Herren. Madame Leblanc kenne viele von ihnen, die ihre Sachen sens dessus dessous hätten. Monsieur Cathcart war immer sehr gut gekleidet; er war sehr eigen mit dem Bad; in puncto Toilette war er wie eine Frau, der arme junge Herr. Und nun war er also tot. Le pauvre garçon! Es hatte Madame Leblanc wahrhaftig den Appetit verdorben.
Vom Polizeipräfekten erhaltene Informationen:
Keine. Monsieur Cathcart sei der Polizei nie in irgendeiner Weise aufgefallen. Zu den von Monsieur Parker erwähnten Geldsummen: Wenn Monsieur die Nummern einiger Geldscheine angeben könne, werde man sich bemühen, ihren Verbleib festzustellen.
Wohin war das Geld gegangen? Parker sah nur zwei Möglichkeiten: ein illegitimes Verhältnis oder Erpressung. Gewiß mochte ein gutaussehender Mann wie Cathcart im Laufe seines Lebens die eine oder andere Geliebte gehabt haben, auch ohne daß der Concierge davon wußte. Und gewiß konnte einer, der gewohnheitsmäßig beim Kartenspiel betrog – wenn das der Fall war –, jemandem in die Hände gefallen sein, der zuviel wußte. Es fiel auf, daß die geheimnisvollen Geldeingänge gerade in der Zeit begannen, als seine Ersparnisse erschöpft waren; es erschien durchaus plausibel, daß es sich dabei um irreguläre Gewinne handelte – aus Spielcasinos, durch Spekulationen oder, wenn an Denvers Geschichte etwas dran war, durch Falschspiel. Alles in allem neigte Parker mehr der Erpressungstheorie zu. Sie paßte auch besser zum Ablauf der Ereignisse, den er und Lord Peter in Riddlesdale rekonstruiert hatten.
Das eine oder andere aber machte Parker noch Kopfzerbrechen. Warum hätte der Erpresser mit einem Beiwagengespann in den Mooren Yorkshires herumkutschieren sollen? Wem gehörte die grünäugige Katze? Sie war ein kostbares Amulett. Hatte Cathcart es dem Erpresser in Zahlung geben wollen? Das wäre dumm gewesen. Man konnte nur annehmen, daß der Erpresser es verächtlich weggeworfen hatte. Parker hatte es jetzt bei sich, und schon kam ihm der Gedanke, daß es sich vielleicht lohnen konnte, zu einem Juwelier zu gehen und seinen Wert schätzen zu lassen. Aber der Beiwagen war ein Problem, die Katze war ein Problem, und vor allem, Lady Mary war ein Problem.
Warum hatte Lady Mary bei der Voruntersuchung gelogen? Denn daß sie gelogen hatte, stand für Parker zweifelsfrei fest. Er glaubte ihr die Geschichte von dem zweiten Schuß nicht, der sie geweckt haben sollte. Was hatte sie morgens früh um drei zur Wintergartentür geführt? Wem gehörte der Koffer – falls es ein Koffer war –, der versteckt hinter den Kakteen gestanden hatte? Warum dieser so lange anhaltende Nervenzusammenbruch ohne bestimmte Symptome, der Lady Mary daran hinderte, zum Haftprüfungstermin zu erscheinen oder wenigstens die Fragen ihres Bruders zu beantworten? Könnte Lady Mary bei dem Gespräch im Gebüsch zugegen gewesen sein? Aber dann hätten Wimsey und er doch ihre Fußabdrücke gefunden. Stand sie mit dem Erpresser im Bunde? Das war ein unerfreulicher Gedanke. Hatte sie ihrem Verlobten helfen wollen? Sie verfügte über eigene Einkünfte – und zwar recht ansehnliche, wie Parker von der Herzogin wußte. Hatte sie vielleicht versucht, Cathcart mit Geld zu unterstützen? Aber warum sollte sie in diesem Falle nicht sagen, was sie wußte? Das Übelste, was es über Cathcart zu erfahren gab – immer vorausgesetzt, daß dies die Falschspielerei war –, wußte inzwischen jeder, und der Mann selbst war tot. Wenn sie die Wahrheit kannte, warum kam sie nicht damit heraus, um ihren Bruder zu retten?
An diesem Punkt wurde er von einem noch unerfreulicheren Gedanken heimgesucht. Wenn es am Ende gar nicht Denver gewesen war, den Mrs. Marchbanks in der Bibliothek gehört hatte, sondern jemand anders – jemand, der ebenfalls eine Verabredung mit dem Erpresser hatte – jemand, der mit ihm gegen Cathcart unter einer Decke steckte – jemand, der wußte, daß die Begegnung gefährlich werden konnte? Hatte er, Parker, dem Rasenstück zwischen Haus und Gebüsch die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet? Hätte er dort vielleicht am Donnerstagmorgen noch hier und da einen niedergetretenen Halm gefunden, den Regen und Wurzelsäfte inzwischen wieder aufgerichtet hatten? Waren ihm und Peter im Wald auch keine Fußspuren entgangen? Hatte eine vertraute Hand den Schuß aus nächster Nähe abgegeben? Noch einmal – wem gehörte die grünäugige Katze?
Vermutungen über Vermutungen, und eine häßlicher als die andere, jagten sich in Parkers Kopf.
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