Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
orientalischen Messingschale, in der sich eine längst erkaltete Pfeife befand. An den Wänden hingen ein paar ausgezeichnete Stiche in schmalen Birnenholzrahmen unddas Ölporträt einer ziemlich rosigen Dame aus der Zeit Karls II. Die Fenstervorhänge waren rot, und auf dem Boden lag ein solider türkischer Teppich. Gegenüber dem Kamin stand ein großer Mahagoni-Bücherschrank mit Glastüren, der einige englische und französische Klassiker nebst einer umfangreichen Sammlung von Büchern über Geschichte und internationale Politik enthielt, dazu ein paar französische Romane, eine Anzahl von Werken über militärische oder sportliche Themen und eine berühmte französische Ausgabe des Decamerone mit Illustrationen. Unter dem Fenster stand ein großer Schreibtisch.
Parker schüttelte den Kopf, nahm ein Blatt Papier und begann seinen Bericht zu schreiben. Er hatte um sieben gefrühstückt: Kaffee und Hörnchen; dann hatte er die Wohnung gründlich durchsucht; er hatte den Concierge ausgefragt, dann den Direktor des Crédit Lyonnais und den für diesen Stadtteil zuständigen Polizeipräfekten, und das Ergebnis war überaus mager.
Informationen aus Hauptmann Cathcarts Papieren:
Vor dem Krieg war Denis Cathcart zweifellos ein reicher Mann gewesen. Er besaß erhebliche Kapitalanlagen in Rußland und Deutschland und eine bedeutende Beteiligung an einem florierenden Weingut in der Champagne. Nachdem er mit einundzwanzig Jahren in den Besitz dieses Vermögens gelangt war, hatte er seinen dreijährigen Cambridge-Aufenthalt beendet und war viel gereist, hatte bedeutende Persönlichkeiten in verschiedenen Ländern aufgesucht und offenbar eine diplomatische Karriere angestrebt. In der Zeit zwischen 1913 und 1918 wurde die Geschichte, die die Bücher erzählten, immer interessanter, erstaunlicher und bedrückender. Bei Kriegsausbruch hatte er sich zum 15. ...shire-Regiment gemeldet. An Hand des Scheckbuchs konnte Parker das ganze Finanzgebaren eines jungen britischen Offiziers rekonstruieren – Kleidung, Pferde, Ausstattung, Reisen, Wein und Diners im Urlaub, Spielschulden, Miete für die Wohnung in der Rue St. Honoré, Clubbeiträge und was nicht sonst noch. Alle diese Ausgaben waren ausgesprochen mäßig und hielten sich im Rahmen seiner Einkünfte. Quittierte Rechnungen, säuberlich abgeheftet, füllten eine Schublade des Schreibtischs, und bei einem genauen Vergleich mit dem Scheckbuch und den Lastschriften ergaben sich keinerlei Diskrepanzen. Darüber hinaus aber scheint es noch einen anderen Kanal gegeben zu haben, in den Cathcarts Mittel flossen. Ab 1913 tauchten regelmäßig alle drei Monate, manchmal auch kürzer hintereinander, bestimmte hohe Barabhebungen auf, über deren Verwendung sich der Schreibtisch diskret ausschwieg: keine Quittungen, keine Notizen über Geldausgaben.
Der große Knall, der 1914 die Weltwirtschaft erschütterte, spiegelte sich verkleinert in Cathcarts Bankbuch wider. Die Gutschriften aus russischen und deutschen Quellen versiegten schlagartig. Die Renditen seiner französischen Geldanlagen sanken auf ein Viertel ihrer ursprünglichen Höhe, denn die Flut des Krieges überspülte auch die Weinberge und riß die Arbeiter mit sich fort. Im ersten Jahr flossen ihm noch ansehnliche Dividenden aus französischen Obligationen zu; dann erfolgte eine ominöse Gutschrift über 20.000 Francs und sechs Monate später eine weitere über 30.000 Francs. Danach ging es schnell bergab. Parker sah im Geiste die kurzen Mitteilungen von der Front, in denen der Verkauf staatlicher Sicherheiten angeordnet wurde, während die Ersparnisse der letzten sechs Jahre im Mahlstrom steigender Preise und zusammenbrechender Währungen immer rascher davonwirbelten. Die Dividenden wurden kleiner und kleiner und versiegten endlich ganz; und dann erfolgte eine noch bedenklichere Serie von Lastschriften, in Form von Spesen für Wechselprolongationen.
1918 spitzte die Lage sich zu, und einige Eintragungen zeugten von dem verzweifelten Versuch, sich durch Devisenspekulationen zu sanieren. Es fanden sich Bankaufträge für den Ankauf deutscher Mark, russischer Rubel und rumänischer Lei. Mr. Parker seufzte mitfühlend bei diesem Anblick, denn er dachte an die rund zwölf Pfund, die er selbst für solch trügerische Werke der Graveurkunst angelegt hatte und die jetzt nutz-und wertlos daheim in seinem Schreibtisch lagen. Er wußte, daß sie nur noch Altpapier waren, aber sein Ordnungssinn erlaubte ihm nicht, sie einfach zu
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