Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)
Technologietransfer aufnehmen«, sagte ich. »Er hätte einfach warten können. Er hätte gar keinen Aufstand anzetteln müssen. Du hättest auf diese ganze Aktion verzichten können.«
»Ich glaube nicht, dass mein Klient daran glaubt, es würde dem Gemeinwohl dienen, wenn die Genetik dieser Schweine zur Open-Source-Technologie wird«, sagte Marcus. »Und ich persönlich will nur für meine Arbeit bezahlt werden. Ende der Diskussion. Gib mir jetzt die Proben.«
Ich blickte zu Leah. »Erinnerst du dich, wie wir auf dem Dach waren und ich dir von diesem Untergeschoss erzählt habe?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie.
»Tut mir leid, dass du jetzt eine Blockadesituation erleben wirst.«
»Kein Problem«, sagte Leah.
»Benjamin!«, sagte Marcus.
Ich zog mein Telefon hervor und klappte es auf.
»Die Proben, bitte«, sagte Marcus.
»Blockadesituation aufgehoben«, sagte ich ins Telefon. Ich sah Markus an, als das Rumpeln losging. »Da kommen sie«, sagte ich.
Leah griff nach Marcus’ Atemmaske und zog sie ihm vom Kopf, als gerade die ersten Proben aus der Abflussröhre schossen. Er bekam eine volle Ladung ins Gesicht und ging prustend zu Boden. Leah und ich stürmten zur Leiter, sie zuerst, dann ich. Als ich die Schließung des Zugangs auslöste, konnte ich noch sehen, wie Marcus versuchte, die Leiter zu fassen zu bekommen. Ich glaube, er schaffte es noch bis auf die erste Sprosse, bevor sich die Zugangsklappe schloss.
»Der menschliche Körper ist nicht darauf ausgelegt, so viel Schweinescheiße zu verkraften«, erklärte Lou Barnes mir am nächsten Tag. Trotzdem hatte Marcus Rosen die Angelegenheit überlebt, wenn auch nicht in allzu guter Verfassung und mit der Aussicht, die Welt in Zukunft aus der Abgeschiedenheit einer Gefängniszelle betrachten zu können. Vielleicht hätte er mit Hilfe eines Anwalts einen Deal aushandeln und einem Industriellen in den Portland-Arkologien das Genick brechen können – wenn sich dieser Industrielle nicht in die Türkei abgesetzt hätte. Wie ich es verstanden habe, wird es nicht sehr angenehm für ihn sein, wenn er sich jemals wieder in Nordamerika blicken lässt.
Will war ziemlich geknickt über das böse Ende, das sein Bruder genommen hatte, und noch viel schlimmer war, dass seine E-Mails missbraucht worden waren und er sein Idol verloren hatte. Leah machte Will deswegen nie einen Vorwurf, aber machte sich selber welche, und damit hatte er schließlich den Grund, den er brauchte, um sich von Leah zu trennen und New St. Louis zu verlassen. Danach ließ er sich in Vancouver nieder und war dort recht zufrieden. Zu den Feiertagen schickten er und seine Frau regelmäßig Gruß-E-Mails.
Das aktive Technologietransferprogramm musste nach der Schlacht von New St. Louis einen schweren Schlag einstecken, nicht zuletzt weil bereits sehr viel von der Biotechnologie, die Mutter hatte transferieren wollen, mit kleinen Flugzeugen in die Außenwelt gelangt war. Mutter wurde trotzdem wiedergewählt und passte sich der neuen Situation an. Statt die Leute zu bestrafen, die in die landwirtschaftlichen Türme eingebrochen waren, gewährte das Exekutivkomitee ihnen Amnestie und veröffentlichte die Genome der Nutzpflanzen als Open Source, womit man allen Beteiligten das Leben leichtermachte. Und nachdem sich New St. Louis einige Jahrzehnte lang hinter seinen Mauern verschanzt hatte, öffnete sich die Stadt allmählich der Wildnis. Die Menschen außerhalb der Stadtgrenze wirtschaften nicht annähernd footprint-neutral, aber sie haben einen Anfang gemacht, und das ist doch schon etwas.
Nach der Schlacht von New St. Louis bot meine Mutter mir an, einen neuen Job für mich zu suchen, wenn ich wollte. Sie fand, dass der Mann, der den Drahtzieher des Angriffs dingfest gemacht hatte, für jeden verdammten Job qualifiziert sein sollte, selbst wenn er ihr Sohn war.
Ich lehnte das Angebot dankend ab. Ich arbeite immer noch im Arnold Tower. Aber es geschah noch etwas ganz anderes: Leah und ich haben dort geheiratet, ganz oben in den Testgärten auf dem Dach, mit Barnes, Jeffers und Pinter als meine Trauzeugen, Syndee als Brautjungfer und Mahlzeit als Ringträger. Er schien große Freude an dieser Aufgabe zu haben. Und uns machte es große Freude, ihn dabei zu haben.
So kam es, dass ein Schwein auf meiner Hochzeitsfeier anwesend war.
Ist doch eine schöne Geschichte, nicht wahr?
Karl Schroeder
Ins ferne Cilenia
Obwohl ich der Herausgeber von METATROPOLIS bin – oder vielleicht eher der
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