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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Erkältung.«
    »Darf ich hereinkommen?«
    »Ich versuche ein bißchen zu schlafen, Schadrach.«
    »Ich werde nicht lange bleiben.«
    »Aber ich fühle mich wirklich nicht gut. Ich möchte lieber keine Besucher.«
    Er ist im Begriff, sich von der Tür abzuwenden, doch obwohl er weiß, daß seine dickköpfige Beharrlichkeit ihm bei Nicki nicht weiterhilft, findet er es allzu schmerzlich, wieder fortzugehen, ohne sie gesehen zu haben. Er hört sich in die Türsprechanlage sagen: »Laß mich wenigstens sehen, ob ich dir was verschreiben kann, Nicki. Schließlich bin ich Arzt.«
    Eine lange Stille folgt auf seine Worte. Er hofft verzweifelt, daß niemand vorbeikommen wird, der ihn kennt, damit sich nicht herumspricht, daß er wie ein liebeskranker Romeo draußen auf dem Korridor gestanden und um Einlaß gebettelt hat.
    Endlich ertönt der Summer, und die Tür läßt sich aufdrücken.
    Nicki liegt im Bett und sieht wirklich krank aus. Das Gesicht ist gerötet und fiebrig, die Augen sind trübe. Die Luft im Schlafzimmer ist muffig und verbraucht, eine typische Krankenzimmeratmosphäre. Er geht sofort zum Fenster, um es zu öffnen. Nicki zieht fröstelnd die Decke bis ans Kinn und bittet ihn, es nicht zu tun, aber er beachtet sie nicht. Als sie sich auf einen Ellbogen stützt, sieht er, daß sie unter der Decke nackt ist. »Ich werde dir einen Schlafanzug heraussuchen, wenn dich friert«, sagt er.
    »Nein. Ich trage nicht gern Schlafanzüge.«
    »Darf ich dich untersuchen?«
    »Ich bin nicht so krank, Schadrach.«
    »Trotzdem, ich würde mich gern vergewissern.«
    »Denkst du vielleicht, ich hätte Organzersetzung?«
    »Es kann nicht schaden, eine Diagnose zu stellen, Nicki. Das dauert nicht lange.«
    »Ein Jammer, daß du meine Leiden nicht so diagnostizieren kannst, wie du es bei jenen des Vorsitzenden tust, indem du deine inneren Signalgeber abliest. Ohne mich stören zu müssen.«
    »Das kann ich leider nicht«, sagt er. »Aber es dauert nur eine Minute.«
    »Also gut.« Während dieses Gesprächs hat sie ihm nicht ein einziges Mal in die Augen gesehen, und das beunruhigt ihn. »Mach schon. Spiel Doktor mit mir, wenn du mußt.«
    Er schlägt die Decke zurück und findet, daß es ihm seltsam peinlich ist, ihren Körper bloßzulegen, als habe ihre jüngste Entfremdung ihn irgendwie des traditionellen ärztlichen Vorrechts beraubt. Aber er hatte nie eine eigene Praxis; vom Krankenhausdienst trat er direkt in den Dienst des Vorsitzenden, so daß sich mit einigem Recht sagen läßt, daß er in seiner Karriere nur einen einzigen Patienten gehabt hat. Die Stellung eines Leibarztes bekam er seinerzeit durch den Umstand, daß er sich von Anfang an auf Gerontologie spezialisiert hatte. So ist es gekommen, daß er nie die professionelle Gleichgültigkeit des praktischen Arztes gegenüber menschlichem Fleisch entwickelt hat. Dies ist keine anonyme Patientin, dies ist Nicki Crowfoot, die er liebt, und ihr nackter Körper ist ihm mehr als ein Studienobjekt. Trotzdem gelingt es ihm, eine gewisse Unpersönlichkeit zu gewinnen, während er ihr den Puls fühlt, sie abhört, den Bauch abtastet und die übrigen Verrichtungen macht, die zur Routineuntersuchung gehören. Ihre Selbstdiagnose erweist sich als richtig: nur eine kleine Infektionsgrippe mit Fieber, nichts Besonderes. Viel Flüssigkeit, Ruhe, ein paar Pillen, und in einem oder zwei Tagen wird sie es überstanden haben.
    »Zufrieden?« fragt sie spöttisch.
    »Fällt es dir so schwer, dich mit der Tatsache abzufinden, daß ich mir Sorgen um dich mache, Nicki?«
    »Ich sagte dir, daß mir nichts weiter fehlt.«
    »Trotzdem machte ich mir Sorgen.«
    »Also war die Untersuchung in Wahrheit eine Therapie für dich?«
    »So kann man es auch sehen«, gesteht er zögernd.
    »Und wenn du nicht herübergeeilt wärst, um mich der Wohltat deiner bedeutenden medizinischen Kenntnisse teilhaftig werden zu lassen, würde ich jetzt vielleicht schlafen.«
    »Tut mir leid.«
    »Mir auch, Schadrach.«
    Sie wendet sich von ihm ab, zieht die Decke bis zu den Ohren und will nichts mehr von ihm wissen. Er steht stumm vor dem Bett, bedrängt von tausend Fragen, möchte wissen, welcher Schatten auf ihr Verhältnis gefallen ist, warum sie so kühl und abweisend geworden ist, warum sie ihn nicht einmal ansehen will, wenn er zu ihr spricht.
    Nach einer kleinen Weile fragt er statt dessen: »Wie geht das Projekt voran?«
    »Du hast doch mit Eis gesprochen. Wir müssen rekalibrieren. Es dauert eine Weile, bis

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