Schädelrose
ist – falls
überhaupt. Ein Geburtskanal für Gott, Patrick? Robbie
Brekke?«
Shahid schwieg. Caroline gab einen Laut des Abscheus oder der
Furcht von sich; sie wußte selbst nicht, was es war. Die
Tür der Kapelle ging auf, und sie fuhr ärgerlich herum,
weil sie dachte, Joe würde sie erneut stören, halbwegs
froh über ein anderes Ziel für ihre Wut. Aber es war
Dr. Maxine Armstrong. Hinter der schlanken Chefärztin konnte
Caroline Joe sehen; er lehnte ein Stück weiter hinten im
Flur an einer Wand.
»Miss Bohentin. Und Doktor Shahid. Ich habe Sie beide
gesucht«, sagte Dr. Armstrong. Selbst zu dieser frühen
Stunde war sie wie aus dem Ei gepellt und fehlerlos
zurechtgemacht. Aber Caroline erkannte den Ton in ihrer Stimme
als professionelles Mitgefühl – geübt und ruhig
– und straffte sich. »Miss Bohentin, ich
fürchte, ich habe eine sehr schlimme Nachricht für Sie.
Das Meadows Home in Albany hat vor ein paar Minuten angerufen.
Ich muß Ihnen leider mitteilen, daß Ihre Tochter in
der Nacht gestorben ist.«
Shahids Hand lag auf ihrem Arm. Aber es war nicht Shahids
Hand, es war die von Timmy, die in ihrer lag, und sein Atem ging
endlich regelmäßig in der Dunkelheit. Nein, es war die
Hand ihres Vaters, so stark wie die hier, so glatt wie Eis.
»Ganz ruhig, Caroline.«
»Es tut mir wirklich leid«, sagte Dr. Armstrong.
»Wir alle hier im Institut fühlen zutiefst mit
Ihnen.«
»Danke«, sagte Caroline. Und dann ein Schrei:
»Es waren doch nur Ohrenschmerzen!«
Armstrong runzelte die Stirn, warf Shahid einen Blick zu und
trat einen Schritt vor. »Das kleine Mädchen ist an
einer Hirnblutung gestorben, die als Sekundärkomplikation
der Seuche aufgetreten ist, wie mir das Heim gesagt hat. Es ist
sehr schnell gegangen, Miss Bohentin. Sie hat nicht
gelitten.«
»Danke«, sagte Caroline noch einmal. Sie hatte es
jetzt auf der Reihe: Timmy, Catherine. Sie fühlte nur einen
dumpfen Schmerz, direkt unter ihrem Brustbein, aber sie
wußte, daß er nicht lange anhalten würde. Das
war nur der Anfang, die bebende Gnade des Schocks. Der Rest
würde später kommen. Sie fragte sich, wie stark –
trotz des Wissens, daß Catherines Tod unvermeidlich gewesen
war, trotz des Wissens, daß er eine Erlösung war,
trotz dieses Wissens – wie stark der Schmerz sein
würde.
»Ich habe Ihren Luftwagen kommen lassen«, sagte
Dr. Armstrong. »Wenn das Institut irgend etwas tun
kann…« Im Schwung der sinnlosen Phrase ging sie aus
der Kapelle voran.
Shahids Hand lag fest an Carolines Ellbogen und führte
sie. Sie sah, wie er Joe mit einem Kopfschütteln bedachte
und etwas zu ihm sagte, aber sie hörte nicht, was.
Wahrscheinlich etwas über sie. »Wir alle hier im
Institut fühlen zutiefst…« Als sie durch
die nördliche Tür aus der Eingangshalle nach
draußen kamen, sah Caroline, daß die Sonne ganz
über den Horizont gestiegen war und auf dem blauen Wasser
funkelte. Jason kreiste mit dem Luftwagen über ihnen.
»Warum… warum ist es wichtig, daß Timmy im
Juni 1976 gestorben ist?« fragte sie Shahid.
Er sagte leise: »Belassen wir’s im Moment dabei,
Caroline.«
»Warum ist es wichtig?«
Shahid sah sie unverwandt an. Kleine Wellen schlugen jenseits
der Wiese gegen die Felsen. Schließlich sagte er: »Zu
diesem Zeitpunkt wurde jemand anderes geboren.«
»Wer?«
Shahid zögerte. »Das ist nun wirklich eine
vertrauliche Information. Sie gehört zur Vergangenheit von
jemand anderem, zu dessen anderen Leben.«
»Bis es in der dBase auftaucht«, sagte sie, und
nach einer kurzen Pause nickte Shahid. Caroline wandte den Blick
ab. In Wirklichkeit war es nicht wichtig. Sie merkte, daß
die gnädige Betäubung, das Geschenk des Schocks,
schließlich doch nicht so lange anhalten würde. Ihr
Luftwagen setzte auf dem Gras auf. Jason sprang heraus, um ihr
die Tür aufzumachen. In der blendenden Helligkeit des Lichts
auf dem Wasser hinter dem Wagen ging jemand am Seeufer
spazieren.
Caroline kniff die Augen zusammen und konnte gerade so eben
erkennen, daß es Bill Prokop war, der mit nackten
Füßen im taufeuchten Gras ging, seine Mappe mit
Mordbildern in der einen Hand trug und mit der anderen flache
Steine über die Oberfläche des glänzenden Sees
springen ließ.
11.
JOE
Joe beobachtete, wie Carolines Luftwagen abhob und in
denselben Luftkorridor einbog, den sie tags zuvor gewählt
hatten. Er stand im langen Morgenschatten des
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