Schädelrose
nicht noch was
Unterwürfiges und Offensichtliches. Sagen Sie Colin, Sie
hätten ihn in seinem letzten Stück wundervoll
gefunden.«
»Hab ich auch«, sagte Robin so ruhig, daß
sie sich schämte. Er gab ihr einen Drink. Sie nippte daran.
Auf einmal brannten Tränen hinter ihren Lidern. Tränen
der Dankbarkeit für einen Drink – gab es etwas
Jämmerlicheres? Aber hatte er Colins Stück
überhaupt gesehen? Oder auch nur etwas davon
gehört?
»Danke«, sagte Colin mit seiner schönen
Traurigkeit. »Jedenfalls habe ich mir Sorgen um Catherine
gemacht. In Poughkeepsie oder irgendwo hier oben im Norden hat es
wieder einen Sprengstoffanschlag gegeben. Diese schrecklichen
politischen Leute. Ich habe im Heim angerufen, und Charles war
zufällig da. Er hat mir gesagt, wo du bist. Ich weiß
nicht, warum.«
»Doch, du weißt es«, sagte Caroline.
»Reine Boshaftigkeit.«
Colin zuckte die Achseln, eine flüssige, anmutige Geste.
»Kann sein. Wie auch immer, ich fing an, mir Sorgen um dich zu machen. Caroline, was soll das alles? Warum bist
du hier? Was willst du mit früheren Leben?«
»Das würdest du nicht verstehen.«
»Probier’s«, sagte er. Die berühmte
Stimme war jetzt trockener und härter. Caroline erinnerte
sich plötzlich daran, wie er sie als Kind einmal
ausgeschimpft hatte, weil sie etwas Verbotenes getan hatte. Sie
hatten auf der Treppe eines Aufnahmestudios gestanden; er hatte
ihr dort einfach den Rücken gekehrt. Die Erinnerung war
nicht anders als die Momentaufnahmen aus dem
Übergedächtnis, die sie ein dutzendmal pro Tag
hatte.
»Bitte, Callie. Bitte.«
Sie lachte. »Ach komm, Colin. Spar dir das für
deine Fans. Ich bin immun.«
Er sah sie weiterhin an. Seine Miene war komplex, aber
unergründlich. Er war der einzige, den sie nie hatte dBasen
können. Schließlich richtete er seinen Blick auf das
Sammelsurium chinesischen Porzellans auf der Frisierkommode. Er
nahm eine kleine Vase mit blauer Glasur ohne weitere Verzierungen
in die Hand, deren Linien so rein waren, daß es ihr beim
ersten Mal, als sie sie gesehen hatte, die Kehle zugeschnürt
hatte.
»Yung Cheng«, sagte Colin. »Aber eine Kopie
von irgendwas aus der Sung-Periode.«
Die Erinnerung traf sie wie ein Schlag. Sie war ein ganz
kleines Kind, nicht älter als vier, und ihre
Großmutter hatte ihr zum erstenmal erlaubt, den verwitweten
Schwiegersohn zu besuchen, den sie so sehr verabscheute. Ihr
Vater stand mit einer geschwungenen blauen Flasche in der Hand
da, die sie nicht anfassen durfte. »Du hast es
gesammelt«, keuchte sie. »Du hast es gesammelt…«
»Mach ich seit Jahrzehnten nicht mehr.«
»Ich hatte es vergessen. Irgendwie hatte ich’s
völlig vergessen. Ich hatte es vergessen…«
Robbie beobachtete sie aufmerksam, Colin fragend. Er hatte
immer noch die Porzellanvase in der Hand. Bei ihrem Anblick in
seinen langen Fingern wurde ihr auf einmal schwindlig.
»Du vergißt eine ganze Menge, Callie«, sagte
Colin trocken. »Ist das der Grund, weshalb du diese
Karnie-Sache machst? Um dich zu erinnern? Oder um zu
vergessen?«
Das Schwindelgefühl ging vorbei. Sie merkte, daß
Robbies Hand an ihrem Ellbogen lag und sie stützte.
»Es ist wegen Catherine, daß du dich eufeln
läßt, nicht wahr?« fuhr Colin fort.
»Irgendwie. Ich spüre es, aber ich verstehe es
nicht.«
Caroline ging quer durchs Zimmer zur Kommode hinüber. Sie
zog die oberste Schublade auf und begann, alle
Porzellanstücke nacheinander auf die Blusen, die
Stirnbänder und die zusammengelegten Nachthemden darin zu
legen.
»Du bist mein Kind«, fuhr Colin mit seiner
schönen Stimme fort, »und ich will dir nur helfen. Ich
sage dir das jedesmal, und du akzeptierst es nie. Ich will dir
nur helfen.«
Sie räumte das letzte Porzellanstück von der Kommode
und drehte sich zu Colin um. Ohne ihm ins Gesicht zu sehen, nahm
sie ihm die blaue Yung-Cheng-Vase aus den Händen und legte
sie in die Schublade.
»Verdammt, Callie! Du bist meine Tochter!«
Caroline schloß die Schublade mit einem leisen Rumms.
»Ich glaube, du gehst jetzt besser, Colin.«
»Callie…«
»Mir geht’s gut. Catherine geht es gut. Es geht
uns allen gut. Keiner braucht irgendwelche Hilfe. Bitte
geh.«
Colin sah sie an, Hilflosigkeit und Schmerz in seinem
ausdrucksvollen Gesicht.
»Gottverdammt, mach, daß du rauskommst!«
Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Endlich war er
wütend. Die Wut freute sie; dann auf einmal nicht
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