Schärfentiefe
ob Sie schon im Atelier von Stefan Urban waren und ob Sie weitere Informationen von mir haben möchten.“
Ich möchte einen köstlichen Cappuccino trinken und mich auf Weihnachten freuen, dachte Paula. Doch zur Wagner sagte sie: „Ja, ich war bereits mit einer Freundin dort und natürlich hätte ich gerne noch alle Informationen, die Sie mir geben können. Wann geht es bei Ihnen?“
„Ich fahre über die Weihnachtsfeiertage weg und komme erst Anfang Jänner wieder zurück. Ich hätte aber heute bis drei Uhr nachmittags Zeit. Wenn es bei Ihnen geht, könnten wir uns irgendwo in der Stadt treffen.“
Ich möchte einen köstlichen Cappuccino trinken und mich auf Weihnachten freuen, aber ich möchte auch die Informationen haben, dachte Paula und sagte: „Ich gehe gerade in die ,Onyx-Bar‘ im Haas-Haus. Haben Sie Lust, sich dort mit mir zu treffen?“
„Ich bin jetzt am Westbahnhof. Ich denke, dass ich in einer halben Stunde dort sein kann.“
Paula war nicht sicher, ob sie sich über das unvorhergesehene Treffen freuen sollte. Viel lieber hätte sie in Gedanken an Markus geschwelgt. Andererseits war sie sehr gespannt, was Gerlinde Wagner ihr erzählen würde.
Paula bummelte weiter über den Kohlmarkt und bog in den Graben Richtung Haas-Haus ein. Bei der Nummer 16 machte sie einen Zwischenstopp, um einen Weihnachtsauftrag zu erledigen. Da ihre Mutter wusste, dass sie ebenso wie Tante Irma eine Musikliebhaberin war, hatte sie Paula gebeten, das Weihnachtsgeschenk für den Gast zu besorgen. An dem ältesten Tonträgergeschäft Österreichs, dem Gramola am Graben,konnte Paula nie vorbeigehen. Manchmal wollte sie nur durch den Musikladen bummeln, um die Atmosphäre in dem herrlichen Jugendstilambiente zu genießen. Aber meist fiel ihr Blick dann doch auf eine CD, die dort auf sie gewartet hatte und die sie dann mit nach Hause nehmen musste. Heute wurde sie magisch von einer CD mit den 24 Capricci op. 1 für Violine von Niccolò Paganini angezogen. Interpretiert wurde diese nämlich von dem mit Preisen hochdekorierten Geiger, Bratschisten und Dirigenten Shlomo Mintz, einem der besten Musiker der Welt. Diese CD sollte das Weihnachtsgeschenk für Tante Irma sein. Sie würde die Musik lieben, da war sich Paula sicher. Die Herkunft des Geigers würde sie erst verdauen müssen. Sie grinste vor sich hin – ein bisschen Bosheit musste sein.
Die „Onyx-Bar“ befand sich im sechsten Stock des gläsernen Haas-Hauses, in dem sich der Stephansdom und die umliegenden Bürgerhäuser spiegelten. Um diese Tageszeit standen die Chancen noch gut, einen der Fenstertische zu ergattern, wobei Fenster untertrieben war. Die ganze Wand war aus Glas und gab den Blick auf den Stock-im-Eisen-Platz vor dem Stephansdom und die Kärntner Straße frei. Man konnte hier stundenlang sitzen und die kleinen bunten Figuren beobachten, die sich dort unten tummelten. Paula ergatterte noch einen Sitzplatz an der Glasfront und genoss den Ausblick auf die belebte Geschäftsstraße. Bald nachdem der Cappuccino serviert worden war, traf Gerlinde Wagner ein. Diesmal trug sie einen schwarzen Hosenanzug. Der einzige Farbtupfer war eine Brosche aus buntem Email. Den orangefarbenen Umhang vom letzten Mal hatte sie gegen eine braunschwarze Webpelzjacke getauscht.
Sie setzte sich neben Paula und wurde für einen Moment unweigerlich in den Bann der Glaswand gezogen. Das geschäftige Treiben war mit der vorgerückten Stunde noch dichter geworden.
„Ein schönes Plätzchen hier oben. Süß die Menschlein, wenn sie so klein und leicht zerstörbar aussehen“, murmelte Wagner, nachdem sie ein Juice und ein gefülltes Gebäck bestellt hatte. Der Kellner stellte auch eine Schüssel Nüsse auf den Tisch, geröstet, noch warm. Aufmerksamkeit des Hauses.
„Und wie hat Ihnen das Atelier gefallen?“, begann Wagner und zündete sich eine Zigarette an.
„Interessant. Wissen Sie etwas von dieser speziellen Technik, welche die Fotos so künstlerisch aussehen lässt?“
„Natürlich“, sie nahm einen tiefen Zug und sah Paula lauernd an. „Er hat auch mich eingeladen und mir seine Künstlerwerkstatt gezeigt.“
Paula wartete, ob Wagner mehr erzählen würde, doch es kam nichts.
„Wir haben ein wenig geschnüffelt und dabei eine Mappe mit unzähligen Briefen entdeckt, in denen sich Studentinnen als Modelle angeboten haben“, versuchte sie anzuknüpfen.
„Ich weiß, es waren viele, die dort ein und aus gegangen sind. Aus den unterschiedlichsten
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