Schafkopf

Falcking kein Hasardeur war. Im Geschäftsleben ging er fast jedes Risiko ein. Aber im Geschäftsleben kannte er das Risiko, konnte mit Wahrscheinlichkeiten rechnen: Hier stehen meine Chancen eins zu drei, und wenn’s schiefgeht, habe ich folgenden Plan B. Falcking wusste weder, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Mensch mit der Pistole schießen würde, noch wie gut er schoss, und schon gar nicht hatte Falcking einen Plan B. Denn wenn es schiefging, war er tot. Das waren keine Risiken, mit denen er vertraut war. Das hier war unbekannt, und die Angst fraß Falcking die Eingeweide auf.
    »Raus, hab ich gesagt!« Die Stimme klang rauh und brutal. Als gehörte sie jemandem, der schon gemordet und vergewaltigt hatte. Vielleicht ein ehemaliger Söldner, der auf dem Balkan oder in Afrika Angst und Schrecken verbreitet hatte und mit den Jahren vollkommen verroht war.
    Falcking stieg aus, seine Knie zitterten. Der Mann mit der Pistole packte ihn am Kragen und riss ihn aus der halboffenen Wagentür. Er fiel auf die Straße und schürfte sich die Innenseite seines Handgelenks am Asphalt auf. Im gleichen Moment wurde er am Kragen wieder hochgezogen, ein Knopf seines weißen Hemds sprang ab. Falcking wurde gegen den Wagen geschleudert. Vor ihm stand ein Hüne von einem Mann, die schwarze Pistole in der Hand. Über dem Gesicht eine Sturmmütze mit Löchern für Augen und Nase darin.
    »Geldbeutel!«
    Falcking fingerte hektisch sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche seiner Anzughose. Inzwischen war der junge Mann von der Straße aufgestanden und hatte sich ebenfalls eine Maske übers Gesicht gezogen. Der Mann mit der Pistole inspizierte den Inhalt des Portemonnaies, konnte aber in der Dunkelheit nicht viel erkennen. Er beugte sich zum rechten Scheinwerfer hinunter, um seine Beute im Licht zu begutachten. Dabei fiel ihm die Pistole hinunter. Der Mann achtete nicht weiter darauf. Der Jüngere trat dazu und beugte sich ebenfalls über die Brieftasche. Sie leerten das Fach, in dem die Geldscheine steckten. Zwei Zwanziger, ein Fünfziger. Mager. Jetzt hatten sie Falckings Karten entdeckt.
    Falcking sah die Pistole, die hinter dem knienden Räuber lag. Er musste nur hinuntergreifen und sie an sich nehmen. Die beiden Männer würden es nicht rechtzeitig bemerken. Sie waren mit ihrer Beute beschäftigt. Doch was dann? Würden sie sich von der Waffe in seiner Hand einschüchtern lassen? Würden sie abziehen, unverrichteter Dinge, mit neunzig Euro Beute? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Würde er notfalls jemanden erschießen? Wahrscheinlich nicht. Er konnte in die Luft schießen oder auf die Beine. Doch was, wenn er versagte, zu sehr zitterte, sie ihn nicht für voll nahmen? Dann war er die Pistole schnell wieder los und dann …
    » PIN -Nummer!«, sagte der brutale Mann, der zu Anfang die Pistole gehalten hatte. Er drehte sich zu Falcking um. Auch ohne Pistole schien er davon auszugehen, dass seine Autorität ausreichte, den Porschefahrer im Anzug einzuschüchtern. Er hielt Falckings EC -Karte hoch. Doch er erstarrte in der Bewegung. Der Anwalt hatte die Pistole in der Hand und richtete sie auf den Maskierten.
    Falcking atmete stoßweise, schluckte und bemühte sich, seine angstzitternde Stimme im Zaum zu halten. »Lassen Sie die Karte fallen und verschwinden Sie«, sagte er mit so viel Nachdruck, wie er nur aufbringen konnte. Der andere schwieg, während der junge Mann neben ihn trat, die Waffe in Falckings Hand erkannte und leise Scheiße sagte. »Haben Sie nicht verstanden, was ich gesagt habe?!« Verzweiflung mischte sich in Falckings Stimme. Er hatte den Satz sagen wollen wie Charles Bronson. Herausgekommen war die Drohung eines Mädchens, das kurz davor war zu heulen. »Haben Sie …« Die Stimme brach ihm weg. Ein letzter Versuch: »Haben Sie nicht verstanden …? HERRGOTT NOCH MAL !!!« Jetzt war ihm die Verzweiflung ins Gesicht gemeißelt. Seine Züge entglitten. Die linke Wange zuckte unkontrollierbar. Er hatte verloren.
    Der Maskierte ließ die Karte sinken. Langsam. Dann machte er einen Schritt auf Falcking zu. Der junge Mann hielt ihn zurück. »Spinnst du? Wenn der schießt?«
    »Der schießt net«, sagte der ältere Mann und ging noch einen Schritt auf Falcking zu.
    »Wenn Sie sich da mal nicht irren«, sagte Falcking und musste fast selbst lachen, so lächerlich stand er da mit der Pistole in der Hand. Er musste irgendetwas tun. Er war so wütend, dass er fast bereit war, den anderen zu erschießen. Er zielte auf