Schafkopf
Einzelheit.
»Bist a Kieberer, oder?«
»Hat Ihnen das mein Großvater erzählt?«
Lucrezia schüttelte langsam den Kopf. »Des g’spürt man.«
»Ich bin privat hier.«
Die junge Frau in der Tür lachte kurz auf und gab sich keine Mühe, die Verachtung in ihrem Blick zu unterdrücken. »Freilich«, sagte sie. »Wolltst eh draußen warten.«
Die Tür schloss sich und wehte Wallner eine Prise morgenwiesenfrisches Parfum in die Nase.
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29 . Kapitel
W allner stand in seiner Daunenjacke im nächtlichen Nebel und fror. Er zog sich die Wollmütze tiefer ins Gesicht und schaute seinem Atem beim Kondensieren zu. Wenn man ihn zur Straßenlaterne hinaufblies, unter der Wallner stand, bildete sich ein großer Lichthof. Wallner machte Kniebeugen, um warm zu werden, ließ dabei aber die Hände in den Jackentaschen. Nach zwanzig Kniebeugen trat Manfred vor die Haustür. Er ging zögernd auf Wallner zu und war missvergnügt.
»Was gibt’s?«, sagte Manfred.
»Nichts Wichtiges«, sagte Wallner und bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall. »Ich wollte nur fragen, ob ich was fürs Abendessen einkaufen soll.«
»Nein. Brauchst nicht. Im Ofen steht a G’röstl. Das machst dir warm, falls ich net da bin.«
»Ach – bist du gar nicht da zum Abendessen?«
»Weiß ich noch net. Muss man dann sehen.«
»Und wo wärst du, wenn du nicht zum Abendessen da bist?«
Manfred zuckte mit den Schultern. »Mei …«
Kurzes Schweigen. Wallner putzte sich die Nase, die in der Kälte angefangen hatte zu laufen.
»Ist das eine von deinen ›etwas jüngeren‹ Bekannten?« Wallner deutete zu dem erleuchteten Fenster hoch, hinter dem eben noch Lucrezia Beisl gestanden und auf die Straße hinuntergeblickt hatte.
»Ja. Und?«
»Geht mich eigentlich nichts an. Aber ich frag mich trotzdem, welcher Art eure ›Bekanntschaft‹ ist.«
»Normal«, sagte Manfred.
»Was heißt denn normal bei einem fast achtzigjährigen Mann und einer fünfundzwanzigjährigen Frau?«
»Hast du net grad gesagt, des geht dich nix an?«
»Eigentlich, hab ich gesagt. Eigentlich!«
»Dann geht’s dich doch was an. Oder was heißt ›eigentlich‹?«
»Hör zu, die Sache ist auch für mich nicht so angenehm. Ich weiß, dass du dich am Sonntag mit dem Mädchen getroffen hast. Aber das wolltest du mir nicht sagen. Stattdessen hast du mir irgendwelche Lügen erzählt.«
»Und woher wissen mir, dass ich mich mit dem Madel getroffen habe? Langweilts ihr euch bei der Polizei, dass ihr der Verwandtschaft hinterspionieren müssts?«
»Ich hab dich zufällig auf dem Marktplatz gesehen. Von einem Lokal aus. Ich frag mich, warum du mir nichts davon erzählen willst.«
»Weil ich mir denk, es is dir net angenehm.«
»Was genau ist mir nicht angenehm?«
Manfred schaute kurz zu Lucrezias Fenster hoch, dann rückte er näher an Wallner heran und senkte die Stimme. »Dass dein Großvater … wie soll ich sagen … mehr bei die Frauen zerreißt wie du. Ich versteh’s ja.«
Wallner starrte wort- und fassungslos in die Nacht.
»Was schaust denn so komisch? Das ist eben keine Frage vom Alter, sondern von der Ausstrahlung. Die Frauen musst du zu nehmen wissen!«, dozierte Manfred in seinem geschliffensten Hochdeutsch. »A Kompliment hier, a Spaßerl da. Die san so dankbar für a bissl Unterhaltung. Wahrscheinlich ham s’ sonst mit so Burschen wie dir zu tun. Da liegt die Messlatte natürlich net hoch.«
»Freut mich, dass ich dir auf meine bescheidene Weise von Nutzen sein kann.« Wallner überlegte, ob er sein Geheimwissen in Sachen Geldübergabe verwenden durfte.
Manfred zog seinen Enkel am Jackenärmel zu sich und wurde vertraulich. »Du kannst es doch auch mit die Frauen. Aber du musst endlich amal eine klarmachen, verstehst? Sonst seh ich schwarz für deinen kleinen Freund in der Hose. Weil irgendwann weiß er nimmer, wie’s geht. Und dann gute Nacht, Amigo.«
»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich hab’s im Griff. Es geht gerade um dich.« Wallner räusperte sich. »Also nur, dass ich das richtig verstehe: Du hast Frau Beisl wie kennengelernt?«
»An am Samstagvormittag aufm Markt. Mir ham beide Tomaten gekauft. Und sie hat mir g’sagt, dass die in Wien Paradeiser dazu sagen. Und ich hab g’sagt, des hätt ich schon amal gehört, weil die Nachbarin damals im Krieg, die war mit am SS -Mann aus Vöcklabruck verheiratet. Wegen dem hamma seit zweiundvierzig keine Tomaten mehr essen dürfen. Weil der hat g’sagt, des kommt von Amerika, und a
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