Schakale Gottes
im Zug, weil Pater Markus nicht auf dem Bahnsteig stand? Oder hielt er sich irgendwo im Hintergrund verborgen? Bei dieser Überlegung schoß dem Kriminalisten das Blut in den Kopf. Er hatte einen unverzeihlichen Fehler gemacht. Wenn Pater Rochus seinen Ordensbruder erwartete, mußte er sich ja bereits in Poraj aufhalten!
So schnell wie möglich lief Pawel Bobak ins Freie und um den Bahnhof herum. Außer dem Beamten und den Passagieren, die den Zug verlassen hatten, war nur ein schäbig gekleideter Knecht zu sehen, der neben einem Kastenwagen stand, auf den die Bäuerinnen und der Bauer zugingen. Sie begrüßten ihn und stiegen auf den Wagen, nachdem sie den Geistlichen und den jungen Mann aufgefordert hatten, mit ihnen zu fahren.
Kriminalmeister Bobak blickte suchend nach allen Seiten. Weit und breit war keine Mönchskutte in Sicht. Er hätte heulen können vor Wut. Da hatte er sich schon am Ziel seiner Wünsche gesehen … Es wäre aber wohl zu glatt gegangen, wenn er den Pauliner ohne weiteres hätte festnehmen können. Und dennoch: irgend etwas stimmte nicht. Man schickt kein Telegramm und kommt dann einfach nicht. Schon gar nicht, wenn man dringend ›Reiseunterlagen‹ braucht. Was damit gemeint war, wußte er nicht. Vielleicht Ausweispapiere, ein Koffer oder Geld.
Je länger Pawel Bobak über alle Möglichkeiten nachdachte, um so überzeugter wurde er, daß es für das Ausbleiben des Paters Rochus nur einen Grund geben konnte: der Geflüchtete mußte gewarnt worden sein. Aber von wem? In Frage kamen ausschließlich Pauliner. Nur im Kloster konnte bekanntgeworden sein, daß Pater Rochus seinen bereits über alle Berge verschwundenen Ordensbruder telegrafisch aufgefordert hatte, nach Poraj zu kommen. Gewiß wußte im Kloster auch jeder, daß der Prior die Kriminalpolizei informiert hatte. Wie aber sollte er unter hundert oder noch mehr Mönchen denjenigen ausfindig machen, der die Warnung ausgesprochen hatte?
Pawel Bobak wurde mit einem Mal hellwach. Wenn Pater Rochus die Depesche am vergangenen Vormittag in Koniecpol aufgegeben hatte, konnte ein Mitglied des Klosters ihn nicht persönlich gesprochen haben. Er mußte telegrafisch gewarnt worden sein.
Der Kriminalist konnte nicht schnell genug nach Czenstochau zurückkehren. Unter den gegebenen Umständen mußte es mit dem Teufel zugehen, wenn er das Versteck des Gesuchten bis zum Abend nicht kannte.
Der Beamte des Telegrafenamtes feixte, als Pawel Bobak ihn erneut aufsuchte. »Geht's immer noch um die Depesche von damals?«
»Nein«, sagte er. »Ich interessiere mich heute für ein Telegramm, das hier aufgegeben wurde.«
»Wann?«
»Gestern.«
Der Beamte griff nach einer Akte. »Wie lautet die Adresse?«
»Die möchte ich gerade von dir erfahren.«
»Na, hör mal.«
»Denk scharf nach: Hat gestern ein Pauliner ein Telegramm aufgegeben?«
»Ja, gegen Mittag.« Er blätterte in seiner Akte. »Diesmal hast du mehr Glück. Ausgehende Depeschen werden nämlich eine Woche lang aufbewahrt. Von wegen Reklamationen und so. Hier ist sie schon. Angenommen elf Uhr sechzehn. Getickt um elf Uhr zwanzig.«
»Wohin?«
»Nach Myszkow.«
»Liegt das nicht hinter Poraj?«
Der Beamte nickte. »Adressiert an Propst Jordanski. Text: ›Sollte mein Freund bei Ihnen sein, dann bestellen Sie ihm, er möge nicht nach Poraj fahren stop Markus ist verreist stop herzliche Grüße Bazil.‹«
Pawel Bobaks Herz schlug schneller. Pater Bazil war es auch gewesen, der ›versehentlich‹ das an Pater Markus gerichtete Telegramm geöffnet hatte. Du lieber Gott! Hatte er in ein Wespennest gestochen? »Ich nehme das Formular mit«, sagte er an den Beamten gewandt. »Du bekommst es noch heute wieder.«
»Trotzdem muß ich eine Quittung haben.«
»Kriegst du.« Der Kriminalist unterschrieb ein Papier und machte sich unverzüglich auf den Weg nach Jasna Góra. Um keine Zeit zu verlieren, leistete er sich eine Droschke. Prior Rejman tat ihm leid. Was mochte in diesem aufrechten Gottesmann vor sich gehen, wenn er erfuhr, daß ein Mitglied seines Ordens den Mörder nun auch noch gewarnt hatte!
Der Ordensvorsteher brach fast zusammen, als Pawel Bobak ihm die Depesche vorlegte. »Das ist doch nicht möglich«, stammelte er verwirrt. »Unser Kloster scheint einem Regenbogenlicht zu gleichen – Tränen, in die Sonnenstrahlen einfallen. Wenn schon der stellvertretende Custos …« Sein Atem ging schwer. »Ich will beten. Sprechen Sie selbst mit Pater Bazil. Ich kann ihn jetzt nicht
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