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Schakale Gottes

Titel: Schakale Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bergius C.C.
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trittst dort als empörter Reisender auf. Du mußt den Hergang so schildern, daß man nicht uns, sondern andere sucht.«
    »Und wie wird das Geld weggebracht?«
    »Mit einem Bauernfuhrwerk, das ich in Petrikau organisieren werde. Wir haben dort einen guten Verbindungsmann.«
    Natascha zündete sich erneut eine Papyrós an. »Und wer schafft das Geld über die Grenze? Wie ich herausbekommen habe, befindet es sich in zwei Koffern.«
    Roman wandte sich an Fedor. »Hast du Zeit?«
    »Jede Menge!« erklärte Natascha, noch bevor ihr Freund antworten konnte.
    Der Bruder wurde stutzig. Welches Interesse hatte seine Schwester daran, daß der Goldschmied den Transport übernahm?
    »Natascha hat recht«, sagte Fedor. »Wenn's sein muß, kann ich mich für acht Tage freimachen.«
    Da scheint mir Vorsicht geboten zu sein, dachte Roman Górski. Für den Lebenshunger seiner Schwester hatte er Verständnis, nicht aber für ihre Liaison mit dem geschniegelten Goldschmied. Er hielt ihn zwar für politisch zuverlässig: bereits zweimal hatte er bewiesen, daß er draufgängerisch und hart sein konnte. Natascha wünschte er jedoch einen anderen Mann.
    Er griff in die Ledertasche und legte zwei weitere Schußwaffen auf den Tisch: einen russischen Kruka-Revolver und ein Schweizer Chamelot-Modell. »Die sind für euch«, sagte er und schob sie den Metallarbeitern zu.
    »Schießt aber nicht auf meinen Schwager, der mit der Wache im Postwagen sitzen wird!« warnte der Bahnangestellte.
    Babuschka stieß mit dem Fuß auf. »Die Finanzierung des Freiheitskampfes mag illegale Maßnahmen erfordern«, erklärte sie unwillig. »Wenn ihr aber den Gebrauch von Waffen einplant, gleicht ihr den ›Nihilisten‹, die da glaubten, die Welt mit Gewalt verändern zu können.«
    »Aber Babuschka!« fiel Natascha temperamentvoll ein. »Die damaligen Verhältnisse in Rußland lassen sich doch nicht mit der Situation in unserem Land vergleichen. Mit Waffengewalt wurden wir niedergerungen, also können wir uns auch nur mit Waffen befreien.«
    »So ist es«, stimmte ihr der Bruder zu. »Und du, liebste Babuschka, weißt das sehr genau. Außerdem ist dein Vergleich an den Haaren herbeigezogen.«
    »Keineswegs«, protestierte die alte Dame. »Die Nihilisten haben ausschließlich Gewalt angewendet!« Roman Górski erhob sich, ein untrügliches Zeichen dafür, daß er sich auf etwas konzentrierte. »Ja, das haben sie«, entgegnete er und ging auf Babuschka zu. »Aber welches waren ihre Ziele? Und was waren das für Menschen?«
    Da sie seine Fragen mit einem Achselzucken beantwortete, sah er sich veranlaßt, ein Bild von jenen jungen Männern und Frauen zu geben, die sich um 1870 in Rußland gegen die bestehende Ordnung aufgelehnt und mit der Forderung: ›Ubiwaite, strjeljaite, buntnite!‹ – ›Mordet, schießt, macht Krawall!‹, versucht hatten, die Grundlagen der Gesellschaft und des Staates so weit zu zertrümmern, daß nichts (nihil), aber auch gar nichts übrigbleiben würde. Sie rekrutierten sich in erster Linie aus Intellektuellen und Halbgebildeten beiderlei Geschlechts, die ›Kommunen‹ bildeten, in denen sie ihre Partner nach Gutdünken wechselten. Ihr Hauptanliegen aber war es, sich durch Banküberfälle Geld zu verschaffen und durch Mord und Brandstiftung die Bevölkerung zu beunruhigen. Polizei- und Regierungsorgane schüchterten sie mit Attentaten so sehr ein, daß sie trotz ihrer auffälligen Kleidung ungeniert auftreten konnten und so schnell keine Verhaftung befürchten mußten. Die Mädchen hatten ihr Haar kurz geschnitten, trugen blaue Brillen und bevorzugten unsaubere Blusen, die sie lose über den Rock fallen ließen. ›Ins Volk gehen‹ nannten sie es, und ›Ins Volk‹ ging auch der männliche Teil der Nihilisten. Er verzichtete darauf, seine langgewachsenen Haare und Bärte zu kämmen, und legte verschmutzte Bauerngewänder an. Gesicht und Hände färbten die Männer sich braun, um nur ja nicht wie Städter auszusehen. Und ihren zumeist gefälschten Paß trugen sie für jeden sichtbar im Stiefelschaft.
    Das rigorose Vorgehen und das Außenseitertum der Nihilisten hatte in den gebildeten Kreisen eine erstaunliche Reaktion. In literarischen Zirkeln wurde es ›schick‹, für sie eine Lanze zu brechen. Und als die Nihilistin Wera Sassulitsch, ein junges Mädchen, das den Petersburger Stadthauptmann Trepow erschossen hatte, in einem sensationellen Prozeß freigesprochen wurde, applaudierte das Publikum wie nach einer grandiosen

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