Schakale Gottes
vielleicht«, erwiderte die alte Dame trocken. »Für die Beteiligten war es unter diesen Umständen aber nicht gerade ein schöner Überfall.«
»Das war er ohnehin nicht!« erklärte Roman seltsam betont.
Babuschka stutzte und blickte von einem zum anderen. »Natascha hat mir gesagt, es sei nicht geschossen worden.«
Er nickte. »Das war so abgesprochen. Du solltest nichts davon erfahren. Ich halte es aber nicht mehr aus; ich muß darüber sprechen. Tag und Nacht verfolgen mich die Schüsse.«
»Fedor ergeht es ähnlich«, sagte Natascha in ihrer Verwirrung.
»Ist das wahr?« fragte der Bruder verwundert.
»Ja.«
»Ich war der Meinung, er würde es nicht so schwer nehmen.«
»Ich auch. Ich bin aber froh, daß ich mich getäuscht habe. Vorher bedenkt man so etwas nicht, doch hinterher …«
»Hinterher ist es entsetzlich«, bekräftigte Roman. »Nichts kann einem dann mehr helfen. Und wenn man sich hundertmal sagt: Es ist wie im Krieg, es geht um unsere Freiheit! Es ist eben kein Krieg. Man steht nicht auf dem Schlachtfeld, sondern schießt aus dem Hinterhalt. Dem Gegner bleibt praktisch keine Chance.«
Babuschka erhob sich. »Falle nicht von einem Extrem ins andere«, sagte sie nachsichtig, fügte jedoch, als Roman protestieren wollte, schnell hinzu: »Ich weiß, ich weiß. Du denkst, ich hätte eher Grund, mit dir zu rechten. Aber du täuschst dich. Ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet und geahnt, daß ihr mir die Wahrheit vorenthalten habt, um mich zu schonen. Lieb gedacht, jedoch nicht notwendig, da ich nicht gedankenlos durch meine Räume rausche. Ich habe über das Problem, das sich euch stellte, lange nachgedacht, und ich gebe Rousseau recht, der unmißverständlich formulierte: ›Auf seine Freiheit verzichten heißt auf seine Menschenwürde und Menschenrechte, ja selbst auf seine Pflichten verzichten.‹«
»Richtig«, stimmte ihr Roman zu. »Wenn Freiheit aber mit einem schlechten Gewissen erkauft werden muß, wähle ich die Knechtschaft.«
Natascha sah ihn ungläubig an. »Was ist denn in dich gefahren? Du bist ja total verändert.«
»Ja, das bin ich. Und ich kann dir auch sagen, warum. Weil ich, wie das Sprichwort sagt. ›Hoppla‹ gerufen habe, bevor ich gesprungen bin. Drei Menschen habe ich nun auf dem Gewissen! Möglich, daß andere mit solcher Belastung besser fertig werden als ich. Möglich auch, daß unser Freiheitskampf den Einsatz ungewöhnlicher Mittel erfordert. Ich aber habe, wie ich jetzt weiß, nicht das Zeug, mit den Konsequenzen fertig zu werden.«
Babuschka trat an ihren Neffen heran. »Es ehrt dich, daß du das offen aussprichst. Und ich bin glücklich über deinen Entschluß, kein weiteres Unternehmen durchzuführen. Freiheit aber, das muß ich dir sagen, wird niemals mit schlechtem Gewissen erkauft. Die Knechtschaft, ja. Zu ihr wird gezwungen, wer nicht zu sterben bereit ist. Denk daran, wenn andere sich in Zukunft die Hände schmutzig machen müssen. Unser Freiheitskampf ist notwendig, gleichgültig, wie wir ihn führen. Nicht von ungefähr haben wir durch ihn im Ausland, und ganz besonders in Deutschland, ein so hohes Ansehen gewonnen, daß Männer wie Fürst Pückler-Muskau, E.T.A. Hoffmann, Adelbert von Chamisso, Christian Dietrich Grabbe, Georg Büchner, Ludwig Uhland und viele, viele andere entschieden für uns eintraten. Und der Dichter Karl von Holtei hat sich mit uns sogar so weit solidarisiert, daß er nach Niederschlagung unseres Aufstandes in einer Versammlung ausrief: ›Ich bin der letzte Pole, ich!‹«
Schon wenige Tage später kehrte Roman Górski nach Krakau zurück. Er hatte sich ein Dokument verschafft, das ihn als Bewohner Galiziens auswies. So konnte er die Grenze ohne Schwierigkeit passieren. Er brauchte nur den Schnellzug nach Wien zu besteigen. Die wenigsten Polen besaßen echte Ausweise. Es galt fast als nationaler Sport, russische Behörden mit gefälschten Papieren zu düpieren.
Natascha war glücklich über die Abreise ihres Bruders. Sie gönnte ihm die Freiheit, der er entgegenfuhr, freute sich allerdings auch darauf, ihn eines Tages besuchen zu können. Über die nähere Umgebung von Warschau war sie noch nicht hinausgekommen. Sie fieberte deshalb der Stunde entgegen, da sie mit Fedor nach Czenstochau fahren sollte.
Seit der Goldschmied anstrebte, sich selbständig zu machen, hatte er in Babuschkas Achtung sehr gewonnen. Er studierte Bücher über sakrale Kunst, entwarf Kelche und Monstranzen und war kaum wiederzuerkennen, wenn er
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