Schakale Gottes
Schwingen gebracht, das ihm schon so fremd geworden war, daß er in den letzten Jahren ohne sonderliche Anfechtungen hatte leben können. Nun war plötzlich alles wieder anders geworden. Das Leben hatte seine prosaische Note verloren und schwelgte in lyrischen Tönen: die Sonne wurde zum goldenen Feuerball, der Himmel schäumte in glühenden Farben, die Nacht spendete zärtlich-süßen Atem, und die Dunkelheit legte ein samtenes Tuch über Träume der Erfüllung. Keine Sekunde überlegte Pater Rochus, woher er das Geld nehmen sollte, das er Babuschka zukommen lassen wollte. Für ihn war es selbstverständlich, daß es ihm zur Verfügung stehen würde. Seit Jahren schon führte er ein Leben, das mit den Statuten des Ordens nicht im Einklang stand. Den Bestimmungen gemäß durfte kein Pauliner Geld besitzen. Diese Vorschrift wurde in Czenstochau jedoch seit 1864 offiziell mißachtet. Seit diesem Jahr erhielten die Angehörigen des Ordens vom Prior bestimmte Summen für das Zelebrieren der Messen. Verbucht wurden sie unter der Bezeichnung: ›Für Kur-Zwecke und dergleichen.‹ Auf diese Weise kamen infolge der vielen Messen, die in Jasna Góra gelesen werden, im Laufe der Jahre für jeden Mönch Beträge zusammen, die ein kleines Vermögen darstellten und manchen Pater zu großzügigen Reisen nach Italien, Frankreich und Spanien animierten. Der Gründe gab es ja genug. Welch gläubiger Christ wollte nicht einmal in Rom, Lourdes und Compostela gewesen sein?
Es wurde aber oft in Zivilkleidung gereist, und da auch andere Unsitten eingerissen waren, bemühte sich der 1895 zum neuen Prior gewählte Pater Fuzebjusz Rejman, das Klosterleben wieder dem Ordensstatut anzupassen. Dabei stieß er auf so großen Widerstand, daß er sich zu einem höchst fragwürdigen Kompromiß entschließen mußte: den alten Mönchen wurde die bisherige Gepflogenheit als geltendes Recht zuerkannt, wohingegen sich die jungen Ordensbrüder den Klosterregeln zu unterwerfen hatten. Das bedeutete neben der peinlichen Klassifizierung, daß die jungen Mönche im Gegensatz zu den alten Patres gehalten waren, alles Geld an die Klosterkasse abzuführen. Wie aber sollte man die Abgaben überprüfen? Die meisten Pilger zahlten für Messen, Gebete und Ablässe weitaus mehr, als die Grundgebühr betrug. In der Regel wurde das Doppelte und Dreifache gegeben, ganz zu schweigen von den großzügigen Spenden der Vermögenden, die Tausende und oftmals Zehntausende von Rubeln zur Verfügung stellten. Man war auf Treu und Glauben angewiesen, doch welcher Mensch kann auf die Dauer widerstehen, wenn tagtäglich unkontrollierbare Beträge durch seine Hände gehen? Der alte Schlendrian riß wieder ein, und vieles deutet darauf hin, daß Prior Rejman sich in seiner Not an Rom wandte und um Unterstützung bat. Jedenfalls schickte Papst Pius X. im Frühjahr 1907 den Karmeliterpater Lamischa mit der klaren Weisung nach Jasna Góra, das Gemeinschaftsleben der Pauliner in die rechten Bahnen zurückzulenken.
In jenen Tagen vertrat Pater Bazil den Custos Bonaventura, und er verstand es, das Vertrauen des päpstlichen Abgesandten zu erringen. Indem er nachdrücklich auf strenge und tägliche Abrechnung drängte, erweckte er den Eindruck, ein unnachsichtiger Vorgesetzter zu sein. Der Karmeliter war ihm deshalb zugetan und schenkte ihm Gehör, als es um die Überprüfung der Meßgelder ging: er entsprach dem Wunsch des stellvertretenden Custos, der ihm dringend empfahl, die Daumenschraube nicht zu stark anzuziehen und einen Teil der Meßgelder den Mönchen zur freien Verfügung zu belassen. Damit wurde vom päpstlichen Gesandten im Namen Roms ein beachtlicher Privaterlös abgesegnet.
Große Reisen aber sind kostspielig, und so wurde bald wieder getan, was man schon immer getan hatte: man ließ etliche Scheine in den Falten der Kutte verschwinden.
Es gab jedoch auch eine andere, viel einfachere Methode, zu Geld zu kommen, und es war ausgerechnet der stellvertretende Custos, der sie den Patres Markus und Rochus vorexerzierte. Er verwaltete den Tresor, und in einem Augenblick, da er sich unbeobachtet glaubte, war er in die Schatzkammer hinabgestiegen und hatte seine Taschen mit einigen tausend Rubeln gefüllt. Die beiden Ordensbrüder, die zufällig Zeugen seines unrechten Tuns geworden waren, hatten ihn noch am gleichen Abend zur Rede gestellt, und seitdem gab ihnen Pater Bazil, was sie von ihm forderten. Für Pater Rochus war es von diesem Tage an kein Problem mehr, der Großen
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