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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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Handrücken eine Träne wegwischte.
    Subbota war den Kosaken gefolgt, um ein Vorhängeschloss zu beschaffen, damit die gefährliche Munition vor dem Zugriff Unbefugter geschützt war. Pjotr lugte besorgt in den Schuppen hinein. Er war es gewesen, der den Leutnant gerufen hatte. Mit einem Nicken gab Leonard seinem Kameraden zu verstehen, dass er für einen Moment verschwinden solle. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Mädchen erneut in Tränen ausbrach und bitterlich zu weinen begann. Leonard stockte |86| das Herz, so leid tat sie ihm. Sanft nahm er sie in den Arm und drückte sie an sich. Er dachte an Katja und streichelte mit einer Hand ihren Rücken. Beruhigend sprach er auf sie ein, während er mit der anderen Hand ihren Kopf an seiner Brust geborgen hielt.
    »Hab keine Angst«, flüsterte er. »Es ist vorbei. Sie werden nicht wiederkommen, und wenn doch, werde ich sie erschlagen und ihre Schwänze zu Entensuppe verarbeiten!«
    Das Weinen hatte aufgehört, und ein Glucksen entwich ihrer Kehle. Hatte sie gelacht? Als sie zu ihm aufschaute, lächelte sie tatsächlich, die langen Wimpern immer noch tränenverhangen.
    Ein Zittern lief durch ihren Körper – nicht wegen der Kälte, sondern wegen der nervlichen Anspannung, die nur langsam verebbte. Leonard erging es kaum besser. Doch er wollte sich nichts davon anmerken lassen. Immerzu musste er an Katja denken. Die Angst, dass es ihr ähnlich ergehen konnte und er nicht bei ihr war, um sie beschützen zu können, nagte an ihm. In anderen Lagern würde es kaum besser zugehen, wie er aus Erzählungen wusste. Auch dort lebten die Frauen wie Freiwild. Wenn der Kommandant eine Frau in seinem Bett haben wollte, dann holte er sie sich. Ganz zu schweigen von einer Vergewaltigung durch eine Handvoll grober Soldaten, denen die Ehre eines Mädchens soviel bedeutete wie ein Haufen getrockneter Pferdemist.
    Plötzlich stand Subbota in der Tür. »Los, schert euch raus!«, rief er barsch. »Ich muss hier abschließen, und euch erwarte ich in spätestens fünf Minuten im Bahnhofshaus. Dann wird zugesperrt!«
    Immer noch den Arm um die Schulter des Mädchens gelegt, führte Leonard die Kleine nach draußen. Auf dem Bahnsteig entzog sie sich mit einem wehmütigen Lächeln seiner Fürsorge.
    »Tu mir einen Gefallen«, sagte sie und schaute mit einem Flehen zu ihm auf, das einen Stein hätte erweichen können. »Sag nichts zu meiner Mutter – und erst recht nicht zu meinem Vater. Er würde die Kerle umbringen und mich gleich dazu.«
    »Warum dich?« Leonard sah sie verständnislos an. »Du trägst keinerlei Schuld.«
    »Da irrst du dich.« Ihre Stimme klang angsterfüllt. »Er wird denken, dass ich den Männern schöne Augen gemacht und ihn damit entehrt habe. Ihm ist es wichtig, dass ich als Jungfrau in die Ehe gehe, falls |87| nicht, würde er mich verstoßen. Abgesehen davon, hast du nicht die geringste Ahnung, zu was er fähig wäre, wenn er den drei Kosaken auf die Schliche käme. Er würde sie töten, und wenn er dafür an den Galgen käme. Doch wir brauchen ihn. Meine Mutter ist krank. Sie hat die Schwindsucht. Und mein Bruder auch.« Das Flehen in ihren Augen wollte nicht weichen. »Versprichst du es mir?«
    »Natürlich.«
    »Wie ist dein Name?«, fragte sie leise.
    »Leonard. Und wie heißt du?«
    »Jekatherina.«
    Leonard musste unwillkürlich schlucken und räusperte sich vernehmlich. Warum ausgerechnet Jekatherina? fragte er sich. Gab es in diesem verdammten Land keine anderen Namen?
    »Freunde dürfen mich Kissanka nennen.« Ein schüchternes Lächeln glitt über ihre Lippen.
    Dem Himmel sei Dank, dachte Leonard. Wenigsten
dieses Lächeln
hatten ihr die Kosaken nicht nehmen können.
    Die Mutter der jungen Frau schien zu ahnen, dass etwas Furchtbares vorgefallen war. Ihre Augen huschten verängstigt zu Leonard und dann wieder zu ihrer Tochter, deren fleckiges Gesicht und rot geränderten Augen Bände sprachen. Der Vater lag indes schlafend am Boden und schnarchte sich die Erschöpfung des Tages aus dem Leib.
    Im Weitergehen streifte Leonards Blick dessen grobschlächtige Erscheinung. Der Schmied war ein riesiger, hässlicher Kerl mit einem roten struppigen Bart, dessen Kräfte durch die jahrelange Arbeit zu Urgewalten herangewachsen waren. Leonard konnte sich gut vorstellen, dass er sich jeden Einzelnen vorknöpfen würde, der nachweislich die Unschuld seiner Tochter befleckt hatte. Und dabei wäre es ihm einerlei, ob es sich um blutrünstige Kosaken oder einen harmlosen

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