Schandtat
würde ich zu ihrer kleinen Truppe passen, hat sie diesen ganzen Mist über professionelle Gesangsausbildung abgespult und mir vorgehalten, warum ihre Solisten alle so toll sind und so’n Zeug. Dann hab ich gesungen, und plötzlich hieß es: ›Ich brauche Sie, Poe. Sie könnten sofort anfangen. Ich könnte Ihnen eine Zukunft geben.‹«
Er schlug die Beine übereinander und nahm diese typische Therapeutenhaltung ein. »Und das gefällt dir nicht.«
Ich verdrehte die Augen. Ich wollte kein Therapiegespräch, sondern eine Dampfwalze. »Ich brauche keine Lehrerin, die mir mit einem Haufen Schwachsinn kommt, bevor sie auch nur gehört hat, wie ich singe. Meinetwegen kann sie sich ihre ach so toll ausgebildeten Affen nehmen und die Wüste fegen.«
Er lachte. »Oha. Höre ich da eine Spur Feindseligkeit heraus, Poe?«
»Nein. Das ist einfach typisch für Lehrer.«
»Inwiefern?«
»Die glauben, sie können uns wie Idioten behandeln, weil wir es sowieso nicht mitbekommen würden. Als sei es irgendein raffiniertes Spiel, für das wir einfach zu blöde sind. Mrs Baird hatte sofort für sich beschlossen, dass ich nicht in ihre Clique passe, aber dann musste sie schnell wieder zurückrudern,
als sie kapierte, dass sie mich möglicherweise doch brauchen könnte.«
»Hm, ob das alles so stimmt?«
Ich dachte an Mr Halvorson. »Ich bitte dich, Dad. Mach die Augen auf. Hier glaubt jeder, die Schüler seien für die Cliquen verantwortlich und alles was dazugehört, aber so ist es nicht. Es ist die Schule. Ich wusste genau, was in Mrs Baird vorging, als ich in diesen Raum kam, und mit den Cliquen ist es ganz genauso. Sie hat mich an meinen Platz verwiesen, noch bevor ich überhaupt den Mund aufgemacht hab. Das Gleiche hat Mr Halvorson heute nach dem Unterricht auch getan.«
»Mr Halvorson?«
Ich schüttelte den Kopf. »Unwichtig. Ich will damit nur sagen, dass Schulen die scheinheiligsten Einrichtungen sind, die es gibt.«
»Dem würde ich nun nicht unbedingt zustimmen. Unsere Gesellschaft …«
»Quatsch, und ich kann’s beweisen. Halvorson erzählt mir, die Benders High sei gegen Cliquen, aber der einzige Grund, warum er mit mir redet, ist der, dass er mich schon längst einer Clique zugeordnet hat, die ihm aber nicht gefällt. Dann komm ich in Mrs Bairds Klassenzimmer, sie mustert mich von Kopf bis Fuß, entscheidet, dass ich unmöglich in ihre kleine elitäre Clique hineinpassen könne, und erzählt mir dann mit schmeichelnden Worten, dass ich da nicht hingehöre, bevor ich auch nur gesungen habe. Ist das etwa kein wertendes Vorurteil? Ist das etwa keine stillschweigende Duldung der Cliquenmentalität? Die Jugendlichen gehen wenigstens ehrlich damit um.«
»Ehrlich?«
»Ja. Mrs Baird musste um den heißen Brei herumreden, um mich wissen zu lassen, dass sie mich nicht in ihrer kleinen Clique haben will. Wenn sie ehrlich gewesen wäre, hätte sie gleich gesagt, dass ich unmöglich einer so großartigen Gruppe von Sängern angehören könne, weil ich nicht entsprechend aussehe, und natürlich konnte ich auch keine professionelle Ausbildung haben, weil ich in ihren Augen nur Abschaum bin.«
»Aber das hat sie nicht gesagt.«
Ich verdrehte die Augen. »Das ist genau das, was sie gesagt hat. Sie hat nur versucht, es so zu formulieren, dass ein dummer Teenager es nicht verstehen würde.«
»Welchen Grund sollte sie dafür haben?«
Ich stand auf und griff nach meinem Teller. »Weil sie, noch bevor ich den Mund aufgemacht habe, schon entschieden hat, wo ich hingehöre, deshalb. Und das« - ich lächelte geziert - »bedeutet, dass ich recht habe.«
»Möchtest du, dass ich mit ihr rede?«
»Was willst du denn dadurch ändern? Die Natur des Menschen?« Ich war richtig in Fahrt, und als ich dort so stand, beschloss ich, an dem Thema dranzubleiben. »Du stimmst mir also nicht zu, dass die Lehrer diejenigen sind, die für die Cliquenbildung sorgen?«
»Die Gesellschaft als Ganzes sorgt für Abspaltungen.«
»Ja, und das ist es, was uns alle voneinander unterscheidet, und das gefällt mir. Ich mag nur einfach keine Leute, die es tun, um andere zu verletzen.«
Er runzelte die Stirn. »Was willst du damit sagen?«
»Lehrer sollten uns eigentlich führen und uns zeigen, dass
wir alles sein können, wofür wir bereit sind zu arbeiten, bevor uns die Gesellschaft aufgrund unserer Gewohnheiten oder unseres Aussehens an unseren Platz verweist. Aber sie tun es nicht. Sie fangen damit an.«
»Wie das?«
»Sieh dir die
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