Schandweib
den Schinken. Wrangel griff erneut in den Beutel und holte ein kleines Messer hervor. Behände schnitt er einige Streifen von dem Schinken ab und legte sie vor Bunk. Die nahm sie alle auf einmal und stopfte sie schnell in den Mund. Wrangel bemühte sich, sie nicht zu sehr beim Essen zu beobachten. Er schnitt noch ein paar Streifen Schinken ab, klappte dann das Messer zusammen und ließ es in seine Rocktasche gleiten.
»Behandeln sie dich gut?«
Bunk sah ihn verständnislos an.
»Schlagen sie dich, oder treten sie dir sonst irgendwie zu nahe?«
Sie schüttelte mit gesenktem Blick den Kopf. Dann griff sie nach einem Ei, hielt kurz inne, schaute scheu zu Wrangel hinüber. Der nickte und nahm selbst einen Schluck Bier.
»Hör zu, damit wir vorankommen und du möglichst schnell hier rauskommst, musst du mir von deinem Leben erzählen. Das Gericht will wissen, wie du lebst. Dein Leben als Mann verschreckt die Menschen, ja lässt sie sogar in Hexenphantasien verfallen. Wir müssen versuchen, Schlimmeres für dich zu vermeiden. Als Prokurator werde ich dich vor Gericht vertreten. Damit ich es kann, musst du mit mir zusammenarbeiten.«
Bunk schaute Wrangel eindringlich an. Verstand sie, was er von ihr wollte? Sie nahm noch ein Stück Schinken und leerte den Bierkrug. »Kann ich noch ein Bier haben?«
Wrangel ging zur Tür und schickte Jürgen nach einem weiteren Bier. Dann setzte er sich vor sie und wartete.
»Was soll ich denn sagen?«
»Erzähl mir von deinem Leben als Mann. Wieso hast du das getan?«
»Wieso? Weil ich für mich sorgen muss. Als Mann ist es wahrlich leichter, eine ehrliche Arbeit zu finden.«
»Wann fingst du damit an, als Mann zu leben?«
Bunk schaute aus dem Fenster. »Vor sechs Jahren war das, in Bremen.«
»Wie kam es dazu? Brauchtest du Geld?«
»Ich hatte meine Stellung als Magd verloren.«
»Warum? Hattest du gestohlen?«
»Nein!« Bunk schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich war dem Herrn nicht gefügig genug. Er hat mich bestohlen, mir meinen Lohn nicht ausbezahlt.«
»Und dann?«
»Und dann, und dann«, äffte sie ihn nach. »Dann hab ich mir Männerkleider gekauft und sie angelegt. Die Leute hielten mich auf Anhieb für einen Mann.«
Wrangel nickte. Auch er hatte schließlich beim ersten Anblick Bunks eher einen Mann als ein Weib in ihr gesehen. Alle ihre Gesten und Aussprüche wirkten so männlich, dass er sich manches Mal innerlich zurechtweisen musste, damit er nicht vergaß, dass vor ihm kein Kerl saß. Geduldig faltete er die Hände vor sich auf dem Tisch und folgte aufmerksam Bunks Erzählung.
Damals, am Kai in Bremen, heuerte sie als Bootsjunge Hinrich Bunk bei Hein Pieper auf dem Gemüseewer an. Die Arbeit auf dem Ewer war hart. Sie musste täglich zweimal das Deck schrubben, die Taue pflegen, mittags eine Suppe kochen, beim Löschen der Fracht mit anpacken und, wenn Not am Mann war, mit in die Zugschlaufen steigen und schleppen helfen. Niemand durfte merken, wer sich unter dem alten Rock und der Hose verbarg.
Hein Pieper fuhr mit seinem Ewer und vier Männern regelmäßig die Weser von Bremerhaven flussaufwärts bis nach Hameln und transportierte Waren für die verschiedenen Märkte entlang des Flusses. Häufig folgten die Händler dem Ewer entlang dem Ufer und schimpften, wenn es ihnen nicht schnell genug voranging. Wurde es zu arg, musste Bunk mit anpacken. Abends saß die Mannschaft beisammen und spielte Karten oder Würfel. Bunk war zurückhaltend. So viel sie auch über die Männerwelt zu wissen glaubte, so groß war auch ihre Unkenntnis, wie sie schnell begriff. Vor allem an kleinen Gesten und Handlungen hatte sie noch viel zu lernen, um den anderen nicht zu sonderbar zu erscheinen. Als sie einmal gemeinsam in einem Gasthaus beisammensaßen, kippte Bunk der Bierkrug vom Tisch. Im schnellen Reflex riss sie die Beine auseinander, um ihn aufzufangen. Klirrend zerbrach der Krug in tausend Splitter, und das Bier spritzte an ihren Hosenbeinen hoch.
»Was reißt du die Beine auseinander, als trügst du einen Weiberrock, Kerl?«, schimpfte die Wirtin, die direkt neben Bunk stand.
Kalter Schweiß lief ihr damals den Rücken herunter, und tagelang trainierte sie danach, die Beine im Affekt zusammenzuschlagen statt zu spreizen. Auch merkte Bunk schnell, dass sie an ihrer Stimme arbeiten musste. Trank sie ein Bier zu viel undwurde laut oder lachte gar, so kippte ihre Stimme nach oben. Schon das eine oder andere Mal hatten sie die anderen komisch angeschaut und als
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