Scharade der Liebe
gegen dich als Druckmittel einsetzen könnte?«
»Woher weißt du das?«
»Du hast im Fieber gesprochen und das behauptet.«
Sie schwieg. Sie wollte ihn nicht ansehen. Er war so zornig, dass er beinahe den Krug an die Wand geworfen hätte. Er stand auf und begann, auf und ab zu gehen. Die Kleider, die der Gemeindevorsteher Leon ihm gegeben hatte, passten ihm gut. Die Hose war eng und schwarz. Er sah recht trainiert aus, besaß kein Gramm Fett zu viel und war ein gutes Stück größer als sie. Es war allerdings schwer, genau zu sagen, wie groß er war, da sie flach auf dem Rücken lag. Leons Weste war ebenfalls schwarz, zwar nicht gerade besonders modisch, aber mit dem weißen Hemd sah sie recht gut aus. Die schwarzen Stiefel waren wahrscheinlich seine eigenen, und offenbar hatte er Erfolg gehabt, als er versucht hatte, sie zu säubern. Ja, Gray war als Mann ein erfreulicher Anblick.
Was mochte sie sonst noch verraten haben, als sie nicht bei sich war? Hatte sie ihm von dem kleinen Tommy Lathbridge erzählt, der ihr die Hand aufs Knie gelegt hatte, als sie sechs und er sieben war? Damals hatte sie ihm ebenfalls die Hand aufs Bein gelegt, und er hatte sich so geschämt, dass er einen Monat lang kein Wort mehr mit ihr geredet hatte.
Sie seufzte. Es war alles hoffnungslos. Entweder vertraute sie ihm, oder sie ließ es bleiben. Er hatte ihr das Leben gerettet. Andererseits, wenn er sie nicht aufgehalten hätte, dann wäre sie ... ja, was wäre dann gewesen? Wäre sie bis nach Bath geritten, bevor sie gemerkt hätte, dass sie die falsche Richtung eingeschlagen hatte?
Sie räusperte sich und sagte entschlossen: »Du hast mir das Leben gerettet. Danke. Morgen geht es mir bestimmt so gut, dass ich aufbrechen kann. Ich bin jung und normalerweise ziemlich gesund - mich wirft nicht einmal eine Erkältung um. Leihst du mir etwas Geld? Und Durban? Und vergisst du einfach, was vorgefallen ist? Bitte!«
»Ist Sir Henry Wallace-Stanford dein Vater?«
Sie hatte ihr Bestes getan, und es war zumindest einen Versuch wert gewesen. »Nein«, erwiderte sie.
Er trat ans Bett, beugte sich über sie und sagte dicht an ihrem Gesicht: »Du wirst mit diesem Unsinn aufhören. Du hast mich schon genug kompromittiert. Du bist ein solches Landei, dass dir gar nicht klar ist, was du getan hast. Und zu alledem vertraust du mir noch nicht einmal. Verdammt, Jack. Ich habe dein Leben gerettet. Vertrau mir und erzähl mir alles, oder ich werfe dich aus diesem Fenster.«
»Das Fenster ist viel zu schmal. Ich würde nie hindurch passen.«
»Mittlerweile doch. Du bist so dünn wie dieser Bettpfosten.« Er richtete sich auf. »Ryder Sherbrookes älterer Bruder Douglas ist der Earl von Northcliffe. Er und seine Familie leben auch in London. Während Ryder hierher eilt, um uns zu helfen, wird Douglas dafür sorgen, dass alle meine Freunde erfahren, dass ich noch lebe, damit sie aufhören, nach mir zu suchen. Er wird auch die Tanten und mein Haus beschützen.«
Warum erzählte er ihr das? Es war doch sowieso egal. Auf einmal klopfte es an der Tür. »Das ist entweder Mr. Harbottle, der den Preis für das Zimmer erhöhen möchte, oder Susie, die das Zimmer aufräumen will, oder Ryder, der zu meiner Rettung eilt und nicht gemerkt hat, dass es schon zu spät ist.«
Es war jedoch nicht Ryder Sherbrooke. Es war Ryders jüngere Schwester Sinjun, die mit Colin Kinross, dem schottischen Earl von Ashburnham, verheiratet war.
Er kannte Sinjun, seit sie fünfzehn war. Er war damals ein sehr erwachsener Neunzehnjähriger und der Freund des anderen Sherbrooke-Bruders, Tysen, gewesen, der mittlerweile Pfarrer und so selbstgerecht und aufgeblasen geworden war, dass seine Brüder ihm ständig irgendwelche unanständigen Geschichten erzählten. Um seinen Charakter zu testen, wie Ryder sagte. Um festzustellen, ob er wirklich so ekelhaft aufrecht war, wie Douglas behauptete. Sinjun dagegen schüttelte nur den Kopf über Tysen und lachte.
Mit fünfzehn war Sinjun groß und schlaksig gewesen, mit strähnigem Haar und dem schönsten Lächeln, das er je gesehen hatte. Dieses Mädchen aber gab es schon lange nicht mehr. Jetzt war sie zweiundzwanzig, immer noch groß, aber eine Schönheit. Ihre blauen Augen funkelten im schwachen Licht des Korridors, als sie ihre Arme um Gray schlang und sagte: »In was für eine Lage hast du dich denn jetzt schon wieder gebracht, Mylord? Sag mir, wen ich erschießen oder welchen Drachen ich für dich töten soll!
Ryder hat gerade ein
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