Scharade
ich dich und will dich auch heiraten, aber fürs erste gebe ich nach. Fair genug?«
Sie hatten nichts wirklich gelöst, aber zumindest war ihr eine weitere Gnadenfrist eingeräumt worden. »Fair genug.«
»Gut.« Er drückte sie an sich. »Bereit fürs Bett?«
»Ich würde gern vorher noch ein paar Bahnen schwimmen.«
»Allein?«
Er machte sich nicht sonderlich viel aus Schwimmen, was eine Schande war, weil er einen Pool hatte, umgeben von üppigem Grün, der prächtiger war als eine Lagune in den Tropen.
»Geh du schon hoch«, sagte sie. »Ich komme bald nach.«
Er lief die geschwungene Treppe in den zweiten Stock
hinauf. Cat ging durch die geöffneten Terrassentüren hinaus und folgte dem Steinweg durch den manikürten Garten zum Pool. Ohne jede Verlegenheit streifte sie ihr Kleid ab, entledigte sich ihrer Stockings und des Slips, dann lieà sie sich nackt in das herrlich kühle Wasser gleiten. Es fühlte sich reinigend an. Vielleicht würde es die nagende Unzufriedenheit fortwaschen, die ihr schon seit Monaten zu schaffen machte, nicht nur wegen Dean, sondern wegen ihres Lebens im allgemeinen.
Sie schwamm drei Züge, ehe sie sich auf dem Rücken liegend treiben lieÃ. Es war noch immer ein Wunder für sie, daà sie schwimmen konnte, ohne nach Luft schnappen oder Angst haben zu müssen, ihr Herz würde komplett aussetzen. Vor eineinhalb Jahren hätte sie ein solches Kunststück nicht für möglich gehalten. Und sie wäre gestorben, wenn nicht ein anderer Mensch vor ihr gestorben wäre.
Dieser Gedanke ging ihr nie ganz aus dem Kopf, und wenn sie sich dieser Tatsache in vollem Ausmaà bewuÃt wurde, war es wie ein Schlag. Nun trieb er sie aus dem Pool. Zitternd tapste sie auf Zehenspitzen zur Cabana und schlang sich ein groÃes Handtuch um den Körper.
Doch der Gedanke lieà sie nicht los: Der Tod eines anderen Menschen hatte ihr das Geschenk des Lebens bereitet.
Sie hatte Dean und auch jedem anderen des Transplantationsteams deutlich gesagt, daà sie nicht wissen wollte, wer der Spender ihres neuen Herzens gewesen war.
Nur selten lieà sie den Gedanken an diese anonyme Person als Individuum zu, mit einer Familie, die ein ungeheures Opfer gebracht hatte, damit sie, Cat, weiterleben konnte. Wenn sie es erlaubte, über diese namenlosen Menschen nachzudenken, kam ihr ihre doppeldeutige Unzufriedenheit wie der Mount Everest der Selbstsucht und des Selbstmitleids vor. Ein Leben war erloschen; sie hatte ein zweites bekommen.
Sie machte es sich auf einem der Liegestühle bequem, schloà die Augen und dachte über ihr Glück nach. Sie hatte die überwältigenden Nachteile einer unglücklichen Kindheit gemeistert, hatte ihren Traum verfolgt und wahr werden lassen. Sie war auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und arbeitete mit talentierten Menschen, die sie mochten und bewunderten. Geld verdiente sie mehr als genug; es fehlte ihr an nichts. Sie wurde vergöttert und begehrt von einem gutaussehenden, kultivierten, höchst angesehenen Kardiologen, der das Leben eines Prinzen führte.
Warum also diese vage Ruhelosigkeit, diese innere Unruhe, die sie weder erklären noch vertreiben konnte? Ihr Leben, so hart errungen, schien nun ohne Sinn und Ziel. Sie sehnte sich nach etwas, was sie nicht beschreiben oder identifizieren konnte, etwas jenseits ihrer Einschätzung und ihres Zugriffs.
Was konnte sie nur wollen, was sie nicht schon hatte? Was konnte sie noch verlangen, wenn sie bereits das Geschenk des Lebens erhalten hatte?
Plötzlich setzte sich Cat auf; Einsicht erfüllte sie mit neuer Energie.
Zweifel an sich selbst konnten eine positive Motivation sein, und ein selbstkritisches Hinterfragen war nicht falsch. Was nicht stimmte, war allerdings die Tendenz dieser Selbstanalyse.
Anstatt sich zu fragen, was sie noch wollen könnte, sollte sie sich vielleicht besser fragen, was sie in der Lage war, zu geben.
Kapitel 10
10. Oktober 1992
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In ihrem Haus duftete es stets nach etwas, das gerade frisch aus dem Ofen kam. An diesem Morgen waren es Kekse. Goldgelb und mit Zucker bestreut, kühlten sie nun auf einem Rost auf dem Küchentisch aus, gleich neben einem Schokoladenkuchen und zwei Obsttorten.
Rüschenvorhänge wehten an den offenen Fenstern. Am Kühlschrank waren mit kleinen Magneten Valentinskarten aus rotem Bastelpapier und weiÃe Papierdecken angebracht,
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